Das Maedchen am Klavier
des Hauses Wieck wieder zum Sammelplatz für die Musikfreunde der Stadt entwickeln würde wie auch für alle künstlerisch Interessierten, die es nach Leipzig verschlug.
»Gemütlich ist es bei Ihnen«, erklärte einer der Gäste zufrieden und mit vom Wein gerötetem Gesicht. »Sehr schön, wenn auch irgendwie anders als früher.« Er verbeugte sich galant vor der Hausfrau, die für ständigen Nachschub an Getränken sorgte und ihre Dienstboten offenkundig fest im Griff hatte. Vielleicht erinnerte er sich daran, dass die frühere Dame des Hauses an den Gesprächen im Salon teilgenommen hatte, ein strahlender Mittelpunkt der Gesellschaft, selbst eine Künstlerin von Rang, während sich die neue Madame Wieck vorzugsweise in der Küche aufhielt und nur bei der Verabschiedung zu sprechen war. Dann erblickte man sie auch aus der Nähe und wunderte sich, wie jung ihr Gesicht noch war, prall und glatt und ganz anders als ...
Clementine war verletzlicher, als man es ihr ansah. Jede Bemerkung, die sie an Marianne erinnerte, traf sie wie ein Stich insHerz. Schon in den ersten Tagen ihrer Ehe fing sie an, dieses Haus zu hassen, das ihre Bedeutung als Ehefrau und Herrin in Frage stellte. Sogleich hielt sie Ausschau nach einem neuen Heim für die Familie. Wieder ließ Friedrich Wieck sie gewähren, und wieder bewies sie ihre Tatkraft und Tüchtigkeit.
Während Friedrich Wieck auf Geschäftsreise unterwegs war, zog man in ein gediegenes Bürgerhaus um: Grimmaische Gasse, Ecke Reichsstraße. Ein geräumiger Salon mit einem besonders großen Tisch für viele Gäste; eine helle Küche mit einem neumodischen Herd, wie sie in Berlin und Dresden gerade in Mode kamen; ein schmuckes Schlafzimmer, mit dem Clementine ihrem Gatten zeigen wollte, dass sie ihn auch als Mann zu schätzen wusste, selbst wenn er zwanzig Jahre älter war als sie und keine Ähnlichkeit mit den Traumrittern ihrer Backfischzeit aufwies. Ein gemeinsames Zimmer für Alwin und Gustav und ein eigener Raum mit verspielten Spitzenvorhängen für Clara.
Der Umzug gestaltete sich für alle, die daran beteiligt waren, beschwerlich, vor allem, weil Clementine es nicht eilig genug haben konnte. Mit einem Bauernfuhrwerk transportierte man die Möbel in das neue Haus, in dem alles leer und sauber war – bereit für die künftigen Bewohner. Sogar die Kinder halfen mit und verteilten die leichteren Gegenstände an ihre vorgesehenen Stellen. Alwin und Gustav genossen ihre Bedeutung. Sie hatten schnell Vertrauen zu ihrer Stiefmutter gefasst, die ihnen manchmal Süßigkeiten zusteckte, vor allem, wenn sie »Mama« zu ihr sagten, wozu Clara nicht bereit war. Sie vermied jede direkte Anrede und verstand immer noch nicht, warum es nötig gewesen war, dass ihr Vater wieder heiratete.
Ein neues Heim, geräumiger und vielleicht auch behaglicher als das alte. Für Clementine Wieck, geborene Fechner sollte es demonstrieren, dass sie patenter war als ihre Vorgängerin, dass sie die Umgebung ihrer Familie ansprechend zu gestalten wusste und dass sie ihren Haushalt und seine Abläufe fest im Griff hatte. So lange hatte sie darauf gewartet, dass endlich einer kam,der bereit war, sein Leben mit ihr zu teilen, und wenn Friedrich Wieck auch nicht ohne Fehl und Tadel war, sollte er seinen Entschluss dennoch nicht bereuen müssen. »Mach ihm das Leben leicht, dann wird es auch dir selbst gut gehen«, hatte ihr die Mutter nach der Trauung ins Ohr geflüstert. Clementine war entschlossen, diesem Rat zu folgen. Sie dankte es ihrem Gatten, dass er ihr großzügig freie Hand ließ, und schwor sich, dass er noch froh sein würde, sie ausgewählt zu haben.
Obwohl es schon fast dunkel war, schritt sie durch die Räume, die nun die ihren waren. Ihr Werk und ihr Eigentum. Sie öffnete die Laden, in denen das Silberzeug glänzte: seit ein paar Tagen mit der Gravur »FW« – Friedrich Wieck, in klaren, schnörkellosen Buchstaben. Nicht mehr »MT« – Marianne Tromlitz, in diesen verschlungenen, gezierten Lettern. Auch die Wäsche in den Schränken war den neuen Gegebenheiten angepasst, dafür hatte Clementine Wieck ebenfalls gesorgt. »FW« ... Sie war stolz auf ihre diplomatische Entscheidung, die Schätze des Hauses nach ihrem Gatten zu benennen. Niemand würde ihr je vorwerfen können, sie hätte sich etwas angeeignet, das ihr nicht gehörte. Darauf verzichten wollte sie allerdings auch nicht. Besitz war Besitz, den gab man nicht mehr her, wenn man ihn erst einmal übernommen hatte.
Johanna Strobel
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