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Das Maedchen am Klavier

Das Maedchen am Klavier

Titel: Das Maedchen am Klavier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Marschner
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einfach fallen lassen. Sie begriff sofort, was geschehen sein musste. Trotzdem konnte sie es nicht glauben. »Ich brauche keine neue Mutter!«, flüsterte sie, aber es kam ihr vor, als schrie sie es aus vollem Halse. »Ich habe schon eine.«

Clementine
1
    Die neue Mutter war eine geborene Clementine Fechner. Wie ihre Vorgängerin stammte sie aus dem klerikalen Bereich. Allerdings war ihr Vater nicht Kantor, sondern Pfarrer. Es beschämte ihn, dass er seine Tochter einem »Geschiedenen« anvertrauen musste, aber bisher hatte sich noch kein einziger Bewerber um die Hand von »Fechners Tinchen« bemüht, obwohl sie als tüchtige Hausfrau galt und von stabiler Gesundheit war. Was ihr jedoch fehlte, war eine Mitgift oder zumindest eine Spur von persönlicher Anziehungskraft, die einen Mann dazu bewegt hätte, darüber hinwegzusehen, dass sie mit leeren Händen in die Ehe kam.
    Seit vier Jahren hatte Friedrich Wieck nun schon allein gelebt. Zu Beginn hatte er Marianne nicht vermisst. Zu tief saß noch die Erinnerung an die Demütigung, die sie ihm zugefügt hatte. Er war überzeugt, sie dafür zu hassen. »Ich bin froh, dass ich dich los bin!«, sagte er manchmal mit lauter Stimme und starrte dabei hinüber zu der Frisierkommode, an der sich Marianne jeden Abend ihr schwarzes Haar gebürstet hatte, bis es glänzte wie die chinesische Lackschatulle, in der sie ihren Schmuck aufbewahrte. »Schneewittchen« hatte er sie manchmal genannt, damals in den goldenen Tagen, als sie noch keinen anderen sah als ihn, immer nur ihn, Friedrich Wieck, der unter ihrem Liebesblick nicht mehr der verhungerte Fritze aus Pretzsch war, sondern ein erfolgreicher Unternehmer, ein Künstler und ein Mann, der seine Frau zu lustvollem Stöhnen bringen konnte.
    Doch damit war es nun vorbei: seit einem Jahr, seit zwei undseit drei Jahren. Im vierten Jahr beschloss Friedrich Wieck, sich nach einer neuen Frau umzusehen. Dabei wusste er nicht einmal, wie sie aussehen sollte und was er sonst noch von ihr erwartete. Eigentlich kam es ihm nur darauf an, dass sie anders war als Marianne, am besten das genaue Gegenteil. Kein blasses Engelsgesicht unter sündigen Locken; keine Gestalt, die ihm den Atem raubte – in der Nacht an seiner Seite oder auch am Tage, wenn er sich ihrer Gegenwart plötzlich bewusst wurde. Nein, eine ordentliche Hausfrau sollte es sein. Eine, die dafür sorgte, dass Sauberkeit herrschte, dass alles an seinem Platz lag, dass die Hemden weiß und die Lederschuhe schwarz waren. Dass die Bediensteten kuschten und die Lieferanten parierten. Dass die Knaben pünktlich zur Schule gingen, ihre Hausaufgaben erledigten, auf ihren Instrumenten übten und sich manierlich benahmen. Dass Clärchens Kleider gepflegt waren und ihr schönes Haar regelmäßig gewaschen wurde.
    Klavierspielen brauchte die neue Frau nicht zu können. Auch an ihrem Gesang war Friedrich Wieck nicht interessiert. Ihre Kleidung sollte sauber und ordentlich sein, modischer Firlefanz war nicht erforderlich. Nur ein Haushäubchen, dachte Friedrich Wieck manchmal fast ein wenig sentimental, ein Haushäubchen, das wäre schön! Ein Haushäubchen und dass sie den Schlüsselbund an der Taille trug. Damit wäre sie vor aller Welt die Frau des Hauses. Seines Hauses. Seine Frau, bei der kein anderer Mann auf dumme Gedanken kam und sie selbst schon gar nicht.
    Ein paar beiläufige Bemerkungen hatten genügt, und schon wusste halb Leipzig, dass der wohlhabende Wieck wieder auf dem Markt war. Einige Väter störten sich daran, dass er geschieden war. Doch es gab immer noch genug diplomatische Angebote, denen er nach Art eines umsichtigen Geschäftsmannes nachging. Das Ergebnis war allerdings enttäuschend. Irgendetwas störte ihn immer.
    Auch als man ihm Clementine Fechner vorschlug, winkte er zuerst ab. Das Kirchenmilieu, aus dem sie stammte, bereitete ihm Unbehagen. Es erinnerte ihn zu sehr an sein erstes Scheitern.In einem schwachen Augenblick nahm er dann aber doch die Einladung des Pastors zu einem Gespräch unter Männern an. Wie zufällig tauchte auch die Tochter des Hauses auf. Sie schien interessiert, doch ohne störenden Eifer.
    Als Friedrich Wieck in ihr junges, hausbackenes Gesicht blickte und ihre bodenständige Sprechweise hörte, fiel ihm wider Willen Adolph Bargiel ein, den dieses Mädchen wohl zu einer ironischen Bemerkung veranlasst hätte. Ganz bestimmt hätte sie ihm nicht gefallen. Niemals hätte er versucht, sie zu verführen. Doch auch Clementine, dachte Friedrich

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