Das Mädchen am Rio Paraíso
Sie konnten jedes Wort hören. Es war genau, wie Teresa prophezeit hatte: Die beiden ignorierten die Kutsche mit den beiden schwarzen Insassen vollkommen. Teresa und Luiz konnten ungeniert lauschen.
»… und er scheint sich wirklich in diese Sache verrannt zu haben«, sagte der Redakteur. »Es bereitet mir ein wenig Sorge.«
»Nun, sehr sorgenvoll sehen Sie eigentlich nicht aus, mein lieber Paulo Inácio. Ich finde sogar, Sie wirken äußerst entspannt. Haben Sie den Sommer in den Bergen verbracht? Die kühlere Luft dort wirkt reinste Wunder, nicht wahr?«
»Nein, ich musste hierbleiben – die Nachrichten machen nie Urlaub«, sagte er wichtigtuerisch. »Aber, ist das das Geheimnis Ihres strahlenden Aussehens? Die Berge? Wo waren Sie in der Sommerfrische?«
»Ich war ebenfalls hier, die meiste Zeit zumindest. Es sind so attraktive Kavaliere wie Sie, die auf mich diese belebende Wirkung haben.«
Teresa musste sich auf die Zunge beißen, um der hübschen Dame nicht an die Gurgel zu gehen. Dieses Biest! Mit fast denselben Worten hatte sie Senhor Raúl Honig ums Maul geschmiert.
»Außerdem behagt mir die städtische Atmosphäre mehr als das Landleben. Und Städter gefallen mir viel besser als Männer aus der Provinz …«
Deutlicher konnte sie kaum werden. Teresa war so entsetzt über die Falschheit der Sinhá Josefina sowie über ihren eigenen Mangel an Menschenkenntnis – bis vor fünf Minuten hatte sie die junge Frau ja noch als Braut für ihren Senhor Raúl in Betracht gezogen! –, dass sie nach der Hand ihres Begleiters griff.
Luiz verstand überhaupt nichts. Aber er war selig.
Von ihm aus konnten sie den ganzen Tag so hier sitzen bleiben, händchenhaltend und fremde Leute beim Austausch von Belanglosigkeiten belauschend. Kaum merklich drückte er Teresas Hand.
»Pah«, brauste sie auf, »du alter Schwerenöter! Glaubst wohl, das Unglück eines Mädchens ausnutzen zu können?« Sie zog ihre Hand zurück. Dann gab sie ihm den Befehl, weiterzufahren.
Luiz fuhr so rasant an, dass ihr Wagen eine riesige Staubwolke aufwirbelte, die dem Gespräch von Josefina und Paulo Inácio eine vollkommen andere Wendung gab.
Die Flüche der beiden hallten noch bis zum Marktplatz in ihren Ohren nach.
[home]
30
I m Norden grenzte an unser Grundstück das der Gerhards, im Süden das der Familie Schmidtbauer. Es waren Leute aus Niedersachsen, mit denen uns nicht viel verband, nicht zuletzt deshalb, weil wir ihre Sprechweise kaum verstanden. Unser Kontakt beschränkte sich auf das Mindestmaß an Nachbarschaftshilfe, ohne die hier in der »Baumschneis« – so war unsere in den Urwald geschlagene Schneise getauft worden – gar nichts ging. Hannes hatte Wilhelm Schmidtbauer beim Dachdecken geholfen, Wilhelm hatte seinerseits mit angepackt, als wir unseren Brunnen bauten. Agathe Schmidtbauer hatte uns einen Teil ihrer gestampften Butter rübergebracht, denn die verdarb ohnehin zu schnell, als dass die Familie sie allein hätte aufessen können, während ich ihnen umgekehrt einmal ein paar Gläser selbstgekochten Guavengelees abgetreten hatte. Es war eine Notgemeinschaft, nichts Freundschaftliches, im Gegensatz zu unserem Verhältnis zu den Gerhards, für die wir eine stetig wachsende Zuneigung empfanden.
Dennoch war ich im Juni 1825 heilfroh, dass diese Familie in der Nachbarschaft lebte und nicht etwa ein jüngeres Paar, das uns vielleicht nähergestanden hätte. Agathe Schmidtbauer hatte nämlich vier Kinder zur Welt gebracht, lauter dicke, gesunde Wonneproppen, und so erschien sie mir als die geeignete Person, die ich um Rat und Hilfe bitten konnte. Die Schmidtbauer-Kinder waren zwischen fünf und sechzehn Jahre alt und alle noch in der alten Heimat geboren worden, wo Agathe Beistand von den zahlreichen Frauen ihrer Familie gehabt hatte. Trotzdem würde sie wissen, was zu tun war. Die Geburt unseres ersten Kindes stand jetzt kurz bevor, und ich hatte große Angst.
Agathe hatte uns bereits über die wichtigsten Schritte aufgeklärt und insbesondere Hannes eingeschärft, was zu tun war. Im Zweifel wäre ja er der Geburtshelfer. Bei ihrem ersten Kind, hatte Agathe behauptet, wäre es so schnell gegangen, dass das Kleine schon da war, bevor sie die Hebamme des Dorfs überhaupt wach bekommen hatten. Ich glaubte, dass Agathe maßlos übertrieb, um mir Mut zu machen. Dabei erreichte sie nur das Gegenteil. Ich wollte ja gar nicht, dass es so schnell ging. Ich wünschte mir, es möge so lange dauern, dass die
Weitere Kostenlose Bücher