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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Stunden wecke ich dich.«
    Klara nickte. Sie musste sich ein Grinsen verkneifen. Tja, da hatte sie den guten Senhor Raúl wohl falsch eingeschätzt. Wenn es ums Überleben ging, gestand er sich doch durchaus etwas Eigennützigkeit zu. Recht hatte er.
    »Nicht dass du denkst, ich wollte mich drücken. Aber wenn ich nicht auch ein wenig Schlaf bekomme, werde ich uns morgen keine große Hilfe sein.«
    »In Ordnung«, sagte Klara in neutralem Ton. Insgeheim freute sie sich, dass Raúl sie betrachtete und behandelte wie seinesgleichen und nicht wie ein armes, schutzbedürftiges Mädchen. Und dass er sie Wache halten ließ, konnte doch wohl nur bedeuten, dass er ihr vertraute. Würde man sein Leben einer geistesgestörten Mörderin anvertrauen? Na also.
    Nachdem ihr Unterschlupf so weit fertig war – der Baldachin gut befestigt, die Decke auf dem Boden glattgestrichen, der Boden selbst von den gröbsten Unebenheiten befreit –, begann Klara, den Korb mit den Nahrungsmitteln auszupacken. Sie bedeutete Raúl, sich zu ihr zu setzen. Er warf ein paar Zweige, die er mitgebracht hatte, in das kleine, knacksende Feuer. Dann zog er die Stiefel aus und ließ sich ächzend fallen.
    »Gott sei Dank packt Teresa selbst für kurze Ausflüge immer Essen ein, das für eine ganze Kompanie eine Woche lang reichen würde. Ich sterbe vor Hunger.«
    Ja, Klara erging es ähnlich. Ihr Magen war so leer, dass er schon wieder aufgehört hatte zu knurren. Noch während sie die Speisen aus dem Korb holte, griff Raúl zu. Ein Stück Bananenkuchen war vertilgt, bevor Klara überhaupt zu den »Hauptspeisen« vorgedrungen war: gebratene Hähnchenkeulen gab es da, kalten Bratenaufschnitt, Schinken, einen ganzen Laib Brot, verschiedene Hartkäsesorten, diverse Früchte, Kuchen sowie eine Flasche Wein. Selbstverständlich fehlten weder Teller noch Besteck, Gläser oder Korkenzieher. Es war ein sehr liebevoll zusammengestellter Picknickkorb, der nicht so recht zu ihrer Lage zu passen schien, obwohl er doch mehr als willkommen und überaus nützlich war. Klara sah vor ihrem geistigen Auge Szenen von französischen Adligen bei einem Ausflug aufs Land, die sie sich nach ihrer spärlichen Lektüre einschlägiger Romane ausgemalt hatte. So ähnlich mussten auch diese Leute ausgestattet gewesen sein, stellte sie sich vor, wobei sie bestimmt jede Menge Diener dabeihatten, die ihnen die Köstlichkeiten servierten.
    »Wie die englischen Landadligen«, bemerkte Raúl, und Klara lachte laut heraus.
    »Was ist daran so lustig?«
    »Ich dachte an französische Landadlige«, antwortete sie. Raúl starrte sie mit offenem Mund an.
    »Was?«
    »Dein Portugiesisch. Gerade hast du einen vollständigen und außerdem korrekten Satz gesagt. Das ist ja unglaublich.«
    Klara war sehr stolz auf sich. Dass sie das Wort »Landadlige« zuvor aus seinem Mund gehört hatte und dass der Rest des Satzes sehr schlicht war, verdarb ihr keineswegs die Freude.
    Nach diesem kurzen Wortwechsel schwiegen sie. Klara bediente sich aus dem Proviantkorb mit derselben Gier wie Raúl. In stiller Eintracht saßen sie beieinander, kauten vergnügt vor sich hin und betrachteten das armselige Feuerchen, das noch immer nicht vernünftig brannte. Es zischte und sprühte, aber es mochte genügen, um Tiere fernzuhalten. Inzwischen war es ziemlich dunkel geworden. In kaum mehr als einer halben Stunde wäre es stockduster.
    Nachdem der erste Hunger gestillt war, entkorkte Raúl den Wein. Er füllte zwei Gläser und reichte eines Klara.
    »Zum Wohl. Auf unser Überleben im Dschungel.«
    »Saúde«,
antwortete sie lächelnd.
    Der Wein schmeckte gut, was Klara vor allem der Miene Raúls entnahm. Sie selber hatte in ihrem ganzen Leben so wenig Wein getrunken, dass man ihr die sauerste Sorte hätte vorsetzen und sie damit hätte erfreuen können. Bier, Apfelwein, Schnaps oder Aufgesetzter waren die alkoholischen Getränke, mit denen hunsrückische Bauern sich ihren Kummer fortzusaufen oder sich eine künstliche Heiterkeit anzutrinken pflegten.
    Beide tranken ihre Gläser zügig leer. Raúl füllte ihres sofort wieder, nahm sich selber jedoch nichts mehr. Klara schaute ihn fragend an.
    »Ich soll Wache halten, nicht wahr?«
    Na schön, aber allein wollte sie keineswegs den Wein genießen.
    Raúl bemerkte ihr Zögern. »Trink schon. Er wird dich schön schläfrig machen. Wenn du noch stundenlang wach bist, kannst du mich später nicht ablösen, richtig?«
    »Richtig«, erwiderte sie, auch wenn sie nicht jedes

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