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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Wort verstanden hatte. Den Sinn hatte sie begriffen.
    »Also solltest du dich so bald wie möglich hinlegen. Satt gegessen und mit ein bisschen Wein intus – da schläfst du wie ein Murmeltier.« Und, hätte er hinzufügen mögen, da merkst du gar nicht, was du für eine Angst hast.
    Sie hob ihr Glas, prostete ihm zu und stürzte es in einem Zug hinunter. Müdigkeit brauchte sie gewiss keine mehr zu erzeugen, denn sie war halb ohnmächtig vor Erschöpfung. Ihr lag mehr daran, sich Mut anzutrinken. Die Lage war doch ein bisschen heikel. Erstens musste sie einmal einem dringenden Bedürfnis nachgeben, wozu sie sich nicht allzu weit von ihrem Lager entfernen wollte. Zweitens war es ihr wirklich unangenehm, dass sie die Nacht hier draußen allein mit Raúl verbringen musste, auch wenn sie nicht gleichzeitig nebeneinanderliegen und schlafen würden und obwohl er doch eigentlich der letzte Mensch auf Erden sein sollte, vor dem ihr irgendetwas peinlich war. Immerhin hatte er sie halb nackt und halbtot aus dem Rio Paraíso gefischt.
    Der Wein begann zu wirken. Klara entspannte sich. Ein ganz leichtes Schwindelgefühl bemächtigte sich ihrer. Es fühlte sich gut an. Sie stand auf und verschwand um die Ecke. Sie hockte sich hinter einen Busch und hoffte, dass kein Skorpion sie in den Hintern kneifen würde. Sie schmunzelte bei der Vorstellung – ihre Furcht war einer Art Galgenhumor gewichen. Dann kehrte sie zu ihrem Lager an der Zeder zurück und legte sich auf die Decke. Komfortabel war es nicht gerade. Sie lag auf dem Bauch, die Arme unter dem Gesicht verschränkt. Sie spürte jede Unebenheit des Bodens, ein Ästchen bohrte sich ihr in die Brust. Aber sie war inzwischen so müde, dass sie nicht mehr die Energie aufbrachte, ihre Schlafstatt bequemer herzurichten. Keine fünf Sekunden später war sie eingeschlafen.
    Raúl saß an dem mickrigen Feuer und schaute zu Klara hinüber. Er selber fühlte sich ebenfalls wie gerädert, und nichts hätte er lieber getan, als sich hinzulegen und ein paar Stunden zu schlafen. Aber das durfte er nicht riskieren. Einen Kaffee hätte er jetzt gut gebrauchen können oder, noch besser, seinen
chimarrão,
denn der Matetee hatte eine erstaunlich belebende Wirkung. Aber weder hatte er die Zutaten noch Kochgeschirr dabei, um Wasser zu erhitzen. Er hätte nicht so viel essen dürfen, jetzt war er träge und bettschwer. Um sich wach zu halten, stand er auf, streckte sich und ging ein paar Schritte. Am liebsten hätte er sich sinnvoll betätigt, zum Beispiel nach kleineren Stämmen gefahndet, die sich zum Bau eines Floßes verwenden ließen. Doch die Nacht war mondlos und tiefschwarz. Außerhalb des Radius ihres Feuerchens war die Dunkelheit des Waldes so dicht, so schwer, dass er meinte, sie mit Händen greifen zu können. Er konnte nichts weiter tun, als in dem schwachen Lichtschein zu bleiben und seinen widersprüchlichen Gedanken nachzuhängen.
    Raúl hatte angefangen, Klara als Frau zu betrachten und nicht mehr nur als geschlechtslosen Schützling, als er sie in Josefinas Kleid gesehen hatte. Er hatte sie sehr anziehend gefunden. Im Laufe der Zeit hatten sich ihm weitere Eigenschaften offenbart, die ihm gefielen. Klara war intelligent – ihre schnellen Fortschritte im Portugiesischen belegten das eindrucksvoll. Sie war zurückhaltend und hatte ein freundliches Temperament. Das jedenfalls glaubte er daraus schließen zu dürfen, wie sie mit Teresa und Aninha umgegangen war. Und sie war, das hatte er auf dieser Reise festgestellt, hart im Nehmen. Sie jammerte nicht, wurde nicht hysterisch, verfiel nicht in Selbstmitleid. Oder wenn sie es tat, dann verheimlichte sie es jedenfalls gut. Sie wirkte vielleicht ein wenig zu beherrscht. Waren sie alle aus diesem Holz geschnitzt, die Einwanderer? Hatten sie gelernt, aus dem Schlechten das Beste zu machen?
    Vielleicht war Klara aber auch nur gefühlsarm, und dort, wo sich bei anderen Frauen ein weiches Herz befand, saß bei ihr ein Stein. Wenn dem so wäre, würde sich auch erklären lassen, wie sie den tragischen Vorfall auf ihrem abgelegenen Grundstück – wie auch immer sich das Ganze abgespielt hatte – so gut verkraftet hatte. Raúl ging leise um das improvisierte Zelt herum, bückte sich und betrachtete Klaras Gesicht. Es lag seitlich auf ihren Armen, so dass eine Hälfte in dem schwachen Lichtschein, der von dem Feuer ausging, gut zu erkennen war. Im Schlaf wirkte Klara viel jünger als im Wachzustand. Jetzt, da sie die Augen geschlossen

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