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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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nicht daran, gut, fest und lange zu schlafen. Als Teresa sie am Morgen weckte, waren die anderen schon reisefertig.
    Im Laufe der nächsten Tage änderte sich die Landschaft erheblich. Sanfte Hügel erstreckten sich bis zum Horizont, bedeckt von Mischwäldern mit wieder ganz anderen Bäumen, als Klara sie im Urwald kennengelernt hatte, und unterbrochen von Grasflächen, auf denen Rinderherden weideten. Auch das Klima schien sich geändert zu haben. Anders als in Küstennähe war es hier trockener, nicht mehr so schwül. Es erinnerte sie ein wenig an den Hunsrück. Natürlich nicht, wie er im April, sondern wie er im Sommer war, wenn Wälder und Wiesen in vollem Saft standen und ihr Grün die Schroffheit der Landschaft verdeckte.
    Dann, am Nachmittag des fünften Tages, passierten sie das Dorf Santa Margarida. Es war ein sehr bescheidener Marktflecken, mit ärmlichen Häusern und einem staubigen Weg, der mitten hindurchführte. Die Leute blieben stehen und winkten ihnen zu. Manche riefen auch laut, und Raúl und Teresa antworteten ihnen lachend. Man kannte sie hier. Klara freute sich für die beiden, die nun endlich nach Hause kamen. Sie merkte, wie die Spannung von ihnen abfiel, wie ihr Benehmen sich änderte. Sowohl Teresa als auch Raúl wirkten viel natürlicher, was, wenn Klara sich vor Augen hielt, wie sie selber in ihrem Heimatort eine ganz andere gewesen war als unter Fremden, nur normal war.
    Ihr selber hingegen wurde, aus demselben Grund, klamm ums Herz. In Ahlweiler hatte sie jeden gekannt. In São Leopoldo war sie unter Gleichgesinnten gewesen – und hatte nach einiger Zeit auch jeden gekannt. In Porto Alegre war sie unfreiwillig gelandet. Hierher jedoch war sie freiwillig gekommen, einzig in Begleitung zweier Menschen, die ihr zwar wohlgesinnt waren, die aber kein Ersatz für eine gute Freundin, eine Leidensgefährtin oder eine Schwester waren. Eine ältere Negersklavin und ein äußerst attraktiver Gutsbesitzer, zu dem Klara sich hingezogen fühlte – das waren beileibe nicht die Menschen, mit denen sie sich gerne über gemeinsame Erfahrungen ausgetauscht hätte. Weder Raúl noch Teresa würden ihre Empfindungen verstehen, geschweige denn teilen können.
    Die Freude über die Ankunft in Santa Margarida wurde von diesen Überlegungen überschattet. Zugleich hatte Klara jedoch das erhebende Gefühl, das jedem Neubeginn zu eigen ist. Sie spürte eine herrlich irrationale Euphorie in sich aufwallen, geboren aus Hoffnung und Zuversicht. Ungewissheit konnte beängstigend sein – aber auch betörend. In jedem Fall war sie anregend. Klara bekam eine Gänsehaut.
    Die
estância
erreichten sie nach einer weiteren Viertelstunde. Raúl und Teresa waren nun völlig entfesselt. Sie alberten herum, redeten viel mehr als üblich und machten alles in allem den Eindruck von Kindern, die von einer aufregenden Wanderung zurück nach Hause kamen und darauf brannten, den Eltern von den gemeisterten Gefahren zu berichten. Klara indes nahm still die Szenerie in sich auf.
    In der Ferne sah sie das Anwesen. Ein schnurgerader Weg, gesäumt von verschiedenen Palmen, Bäumen und farbenfrohen Sträuchern, von denen sie keinen beim Namen nennen konnte, führte auf das Herrenhaus zu. Es wirkte bereits von weitem imposant: ein steinerner, zweigeschossiger, gleißend weißer Bau, schnörkellos und streng. Die Fenster waren farbig abgesetzt, doch ob es sich um Grün oder Blau oder auch Braun handelte, vermochte Klara aus der Distanz nicht zu erkennen. Das rote Ziegeldach lief bei weitem nicht so spitz zu wie die Dächer, die sie aus ihrer Heimat kannte. Unter der leichten Schräge lagen sicher gleich die Schlafzimmer und kein Dachboden oder Ähnliches. An das Haupthaus grenzten diverse andere Gebäude, alle von gleicher Höhe und ebenfalls weiß gestrichen. Sie bildeten ein U um einen Hof herum, der wiederum von der größten Araukarie beherrscht wurde, die Klara je gesehen hatte. In dem Hof konnte sie, bisher nur winzig klein, Leute erkennen, die geschäftig hin und her liefen.
    Raúl gab seinem Pferd die Sporen und preschte voraus. Teresa sah ihm tadelnd nach, wandte sich dann Klara zu und sagte: »Wir fahren schön gemächlich weiter. Feine Leute haben es nie so eilig. Und sollte es doch einmal so sein, lassen sie es sich nicht anmerken.«
    Als sie in der Mitte des Weges angelangt waren, der Hof nunmehr keine dreihundert Meter mehr entfernt, fegte eine Bö über sie hinweg. Das Wetter war den ganzen Tag wechselhaft gewesen, aber

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