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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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nicht. Auf alle Fälle gab Hannes sein Bestes, um mich möglichst bald wieder in anderen Umständen zu sehen. Es wurde mir fast ein bisschen zu arg – andererseits gab es ja auch nicht sehr viel andere Dinge, die wir an den langen Abenden tun konnten.
    Die Einsamkeit machte mir weiterhin schwer zu schaffen. Zwar sah ich seit Hildes Geburt keine Krokodile mehr – inzwischen glaubte ich selber, dass die Episode mit dem
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Einbildung gewesen und auf meine damalige Gemütsverfassung zurückzuführen war –, doch ich litt unter der Abgeschiedenheit und dem Mangel an Austausch. Es war einfach nicht genug, zweimal in der Woche andere Menschen zu sehen, und dann auch noch immer dieselben. Christel und Franz waren unsere besten Freunde, und mit einigen Neusiedlern verstanden wir uns ebenfalls prächtig, unter anderem mit den Schlenzens, aber mir fehlte eine richtige Dorfgemeinschaft. Irgendwann gäbe es die sicher, wenn erst Kirchen und Schulen da waren. Bis dahin lebte jeder auf seiner ihm zugewiesenen Parzelle und hatte vor lauter Arbeit wenig Zeit oder Sinn für irgendetwas anderes. Da es auch keinen Ortskern gab – nur die Schneisen –, waren zufällige Begegnungen so gut wie ausgeschlossen. Man sah praktisch nie einen Nachbarn, wenn man es nicht darauf anlegte. Niemand lugte neugierig über den Gartenzaun, niemand grüßte nett auf seinem Weg zum Müller oder zum Markt.
    Einzig die alte Hanfleinen-Faktorei sowie der Bootsanleger waren zu einer Art Treffpunkt geworden. Alle Neuankömmlinge wurden zunächst in den Räumlichkeiten der stillgelegten Faktorei untergebracht, bevor man ihnen ihr Land zuwies; genauso war es auch bei uns gewesen. Dieses Gebäude befand sich nahe der Anlegestelle, wo man sehnsüchtig die Fracht der Boote erwartete, sowohl die menschliche – die neuen Einwanderer – als auch die Waren, die aus Porto Alegre mit angeliefert wurden. Aber meist waren es die Männer, die sich dort zu einem Schwatz zusammenfanden, denn sie waren für Kauf, Verkauf und Transport von Waren zuständig und hatten so manches Mal Gelegenheit, ihre Parzelle zu verlassen. Wir Frauen dagegen waren durch die Art unserer Arbeit sowie die Kinder ans Haus gebunden. Nur die Frau vom Fritz Holzappel hatte ein wenig mehr Freiheiten als wir anderen, weil sie geschäftstüchtiger als ihr Mann war und darauf bestand, selber die Anlieferungen am Anleger in São Leopoldo zu begutachten. Fritz Holzappel wurde dafür von den anderen Männern ausgelacht, Marlies Holzappel wurde von den anderen Frauen heimlich beneidet.
    Immerhin hatten wir einen kleinen gemischten Chor gegründet. Wir wollten uns einmal alle vier Wochen zusammenfinden, wobei man erst im Laufe der Zeit sehen würde, ob wir diesen Rhythmus beibehalten konnten. Bisher hatten wir uns einmal getroffen. Dieser Tag war für mich der Höhepunkt meines Aufenthaltes in der neuen Heimat. Ich merkte erst, wie viel das Singen mir bedeutete, beziehungsweise was mir während der ersten Zeit hier in Brasilien gefehlt hatte, als ich wieder damit begann. Wir sangen im Freien, weil keines unserer Häuser geräumig genug war, deshalb war die Akustik nicht berühmt, aber das war uns egal. Das Einzige, was zählte, war der Spaß an der Freud – und den hatten wir spätestens, als wir »Der Jäger von Kurpfalz« anstimmten. Es war herrlich. Es fühlte sich an, als löste sich ein Knoten in meinem Herzen, und nach der Probe war ich so gut gelaunt wie lange nicht mehr.
    Vermutlich lag es an dieser gelösten Stimmung, dass ich dem Friedhelm Wörsdörfer gestattete, um mich herumzuscharwenzeln wie ein verliebter Kater. Er hatte nicht nur den schönsten Bass unseres Chors, sondern war auch ein ziemlich gutaussehender Kerl. Er war ganz allein nach Brasilien gekommen, wahrscheinlich in dem Glauben, hier sei es leichter als daheim, auf Brautschau zu gehen. Aber weit gefehlt: Ohne Kirmes oder Schützenfest, ohne ledige Mädchen in heiratsfähigem Alter in der näheren Umgebung und mit Nachbarn gestraft, die mit sich selbst und ihren Familien genug zu tun hatten, war es ein beinahe aussichtsloses Unterfangen, eine Frau zu finden. Er konnte nur hoffen, dass demnächst Neuankömmlinge dabei waren, die mit erwachsenen Töchtern anreisten, oder dass alleinstehende Frauen ohne Begleitung eintrafen, wobei Letzteres so gut wie unmöglich war. Hierher verirrten sich keine Gouvernanten oder Lehrerinnen. Und alleinstehende Bäuerinnen waren mir persönlich keine bekannt, abgesehen von alten

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