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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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unverzüglich auf den Weg dorthin machen.« Zu Klara gewandt, fügte er milde lächelnd hinzu: »Nicht wahr, Dona Klara?«
    Dann nahm er sie bei der Hand und zerrte sie hinaus.
    Klara ließ sich bereitwillig mitnehmen, und erst als sie schon auf der Straße standen, fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, die Leiche zu melden.
     
    Es dauerte eine halbe Stunde, bevor die hilfsbereite Frau, die Klara zur Wache begleitet hatte, bei sich zu Hause eintrudelte und ihrem Mann erklärte, warum sie so spät dran war. Der war sogleich ganz Ohr. Ob es sich bei der Ausländerin nicht um die verschwundene Kolonistin handeln könne, fragte er, die, über die neulich etwas in der Zeitung gestanden hatte. Deren Mann ermordet worden war. Doch seine Frau verdrehte nur ungehalten die Augen. Da lachten ja die Hühner! Als ob sie, Leonor dos Santos, jemals eine Berühmtheit treffen würde, über die sogar die Zeitung berichtete, ha! Dennoch bestand ihr Mann darauf, dass sie gemeinsam zur Wache gingen und seinen Verdacht meldeten.
    Doch als sie dort eintrafen, war die junge Frau schon fort. Sie sei von ihrem Dienstherrn abgeholt worden, einem überaus respektablen Mann, der für die Frau gebürgt hatte. Im Übrigen hätten sie, Leonor und José dos Santos, die Polizei nicht darüber zu belehren, was sie zu tun oder zu lassen hätte, und wenn es sich um eine von Amts wegen gesuchte Person gehandelt hätte, wären sie, die Beamten, doch gewiss als Erste darauf gekommen. Leonor warf ihrem Mann einen Blick zu, in dem er genau jenen Satz lesen konnte, den er ihr verboten hatte, noch einmal ihm gegenüber zu verwenden: Habe ich es nicht gleich gesagt?

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23
    D er Neujahrstag 1825 war zugleich unser erster Tag auf unserem eigenen Land. Uns gefiel dieses symbolträchtige Datum – welches andere wäre für einen Neubeginn besser geeignet gewesen? »Neues Jahr, neues Glück«, sagte Hannes, während er den Arm um mich legte und mich auf die Wange küsste. Ich konnte ihm seine Vorliebe für abgeschmackte Sprüche in diesem Moment nicht einmal verübeln. Ich selber hatte das Gleiche gedacht. Wir standen auf der Parzelle, die uns der Verwaltungsbeamte zugewiesen hatte, und sahen uns voller Besitzerstolz um. Unser Land! Unsere Heimat! Unsere Zukunft!
    Dass es sich um ein Stück Urwald handelte, in das man erst monatelange Arbeit stecken musste, bevor es auch nur halbwegs brauchbar war, kratzte uns nicht. Wir fanden es wundervoll – das schönste Fleckchen Erde, das wir uns vorstellen konnten. Ach, von wegen Fleckchen! Ein riesiges Grundstück war es, bestimmt zwanzigmal so groß wie das Land, das unsere Familien daheim besaßen. Es war mit hohen Bäumen bestanden, von denen wir keinen einzigen beim Namen nennen konnten. Doch der Georg Hellrich, einer der allerersten Pioniere, die bereits vor einem halben Jahr hier angekommen waren, gab uns einige Ratschläge zu deren Nutzung. »Ihr habt hier
maricá, taquara, sarandí, camboatá, timbauva
und jede Menge andere Bäume, die entweder hartes Holz oder gute Früchte liefern. Die
pitanga
zum Beispiel ist sehr lecker, auch die
araçá
oder die
jaboticaba.
Der
umbú
dagegen ist ein Baum, der zwar sehr weiches Holz hat und auch keine essbaren Früchte trägt, den ihr aber trotzdem nicht abholzen solltet. Er hat eine sehr breitgefächerte Krone, für deren Schatten ihr noch dankbar sein werdet.«
    Ich hatte den Verdacht, dass Georg Hellrich nur aufschneiden wollte. Wahrscheinlich hatte er sich die Hälfte der Wörter ausgedacht, um uns tüchtig zu beeindrucken, was ihm, zugegeben, auch gelang. Besonders hilfreich war diese Lektion nicht, denn wir merkten uns keinen einzigen Namen.
    Aber das mussten wir auch nicht. Bei der Rodung eines winzigen Teils unseres Landes waren uns unsere Nachbarn, darunter eben auch Leute, die schon etwas länger hier waren als wir und sich besser mit allem auskannten, behilflich. Umgekehrt halfen auch wir bei der Urbarmachung der Nachbargrundstücke.
    Das war hier gang und gäbe, gegenseitige Hilfestellung war lebensnotwendig. Auch bei der Errichtung unserer ersten, sehr bescheidenen Hütte packten die anderen Männer mit an, so dass wir gleich zu Beginn in den eigenen vier Wänden wohnen konnten – wobei ich mir bis dahin unter
Wänden
etwas anderes vorgestellt hatte als Blätter, die an ein paar Ästen befestigt waren.
    Alle Grundstücke lagen entlang eines schnurgeraden Wegs. Je mehr neue Siedler ankamen, desto tiefer wurde diese Schneise von denselben in den Urwald

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