Das Mädchen Ariela
Kommandeur, Major.«
»Ich dachte, den Deutschen ist die Taktik angeboren?«
»Es gibt auch unter den Fleischfressern Vegetarier …«
Rishon schlug die Beine übereinander. Er hatte es schrecklich gefunden, eine Woche lang mit Schumann unter einem Dach, ja sogar in einem Zimmer zu schlafen. Auf dem gemeinsamen Zimmer hatte er aus wilder Eifersucht bestanden. Er wird nachts nicht zu Ariela schleichen können, dachte er. Ich bewache ihn. Und dann wünschte er sich, daß Schumann den Versuch machen würde, zu Ariela zu gehen. Es würde ihm Gelegenheit geben, ihn niederzuschlagen.
Einen Tag vor dem Abmarsch – die Gruppe eins war schon vier Tage unterwegs, die Gruppe zwei drei Tage – traf Rishon auf dem Dach Ariela allein an. Sie lag auf einer Matte und sonnte sich. Mohammed hatte ihr einen Bikini besorgt, Rishon verharrte eine Zeitlang an der Treppe, um Ariela zu bewundern und seinen Haß gegen Schumann zu steigern.
»Ich muß mit dir sprechen«, sagte er stockend und setzte sich neben sie.
Ariela wandte den Kopf zu ihm. »Du bist so ernst? Schlechte Nachrichten von den anderen?«
»Es betrifft uns, Ariela.« Rishon sah in den tiefblauen Himmel. Er dachte an das, was noch vor ihnen lag, und er dachte auch an seine Einsamkeit, wenn sie Jerusalem tatsächlich erreichen sollten. »Ich liebe dich …«
»Das hättest du nicht sagen sollen, Moshe. Ich weiß es ja … aber warum muß man Hoffnungslosigkeiten aussprechen.« Sie legte die Hand auf seinen Arm, und er zuckte unter ihrer Wärme zusammen.
»Er ist ein Deutscher! Das ist alles, was ich dazu sagen kann! Ein Deutscher! Wie kannst du nur einen Deutschen lieben? Du bist eine Israelin. Eine Sabra! Hast du dir darüber überhaupt keine Gedanken gemacht? Schämst du dich denn nicht?«
»Nein. Ich liebe ihn … nicht seine Abstammung.«
»Man kann einen Menschen nicht von dem trennen, was er ist! Ein Franzose bleibt ein Franzose, wo er auch ist, und er hat leuchtende Augen, wenn er die Marseillaise hört. Und ein Russe wird immer ein Russe bleiben, ob er in Afrika lebt oder in der Südsee. Und ein Deutscher wird immer ein Deutscher bleiben und hurra rufen …«
»Du bist ungerecht, Moshe.« Ariela setzte sich auf. Ihr langes Haar fiel über ihre braunen Schultern. »Unsere Generation hat die Verpflichtung, Haß in Freundschaft zu verwandeln. Wir haben im Kibbuz gearbeitet, ohne Lohn, um dem Vaterland zu dienen. Wir haben die Uniform angezogen und schießen gelernt, um das Vaterland zu schützen. Wir tun alles, um Frieden auf unser Land zu säen … auf den Feldern, in die Herzen, in die Gewissen. Es stimmt, es waren Deutsche, die fünf Millionen Juden umgebracht haben … aber war es Peter? Warum soll er verantwortlich sein für eine Zeit, in der er als Kind ahnungslos im Sandkasten spielte? Sind die Kinder von Mördern automatisch auch Mörder? Als wenn das Leben so einfach wäre …«
Rishon schwieg. Er sah an Ariela vorbei über die flachen Dächer. Sie hat ihren Stolz verloren, dachte er bitter. Der Deutsche hat ihren Stolz gestohlen. Merkt sie das nicht? Spürt sie nicht diese schreckliche Leere in sich?
Was ist ein israelisches Mädchen ohne Stolz?
»Wir werden uns darüber nicht einigen können, Ariela«, sagte Rishon mit einem bitteren Unterton. »Laß uns in Jerusalem weitersprechen.«
Ihre Hand legte sich auf seine Wange. Es war unbeschreiblich süß, dieses Gefühl, und unbeschreiblich bitter für ihn.
»Glaubst du, daß wir Jerusalem erreichen?« Ihre Stimme war dünn und weit weg.
»Wir dienen einer gerechten Sache«, sagte er leise. »Und Gott ist bei den Gerechten.«
»Das wissen aber die jordanischen Maschinenpistolen nicht.«
»Aber es gibt uns Mut.«
Rishon küßte die Handfläche Arielas.
»Du hast doch Mut, Ariela?«
»Würde ich sonst einen Deutschen lieben …?«
Um diese Stunden ritten zwei staubige Araber auf kleinen, ausge mergelten Eseln auf der großen Straße nach Jerusalem. Bei Shunat Nimrin bogen sie auf einen Wüstenpfad nach Süden ab und tauch ten unter in der vor Hitze flimmernden, sich wie Wasser bewegen den und wogenden Luft.
Niemand hatte sie bisher angehalten. Die Militärpatrouillen, die die beiden Eselsreiter überholten, beachteten sie gar nicht. Brav machten die beiden armen Bauern auch Platz und stellten sich an den Rand der Straße, ließen sich mit Steinen und Sand bewerfen und nickten den jungen Soldaten väterlich zu, wenn eine ganze Kolonne Militär sie überholte. Auch als sie am Wegrand saßen,
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