Das Mädchen Ariela
Säcke.
»Jeder in einen Sack!« rief Rishon. »Los! Schnell!«
Nun ging es um Sekunden. Im Vorhof erzählte Leutnant Simon den Dienern schlüpfrige Witze, die er von europäischen Reisenden gehört haben wollte. Das Lachen der Jordanier übertönte sogar das verzweifelte Sägen von Leutnant Gideon.
Rishon und Haphet zogen Ariela, Schumann und Frank die Säcke über und banden sie mit Hanfseilen zu. Dann holten sie eine Schubkarre vom Lastwagen. Rishon gesellte sich zu Leutnant Simon und begann sofort zu schimpfen, als seien die Diener an allem schuld.
»Einen Mistboden habt ihr!« schrie er. »Wie sollen da edle Sträucher wachsen? Voll Steine ist er! Wer hat den Garten angelegt? Sag deinem Herrn, er ist betrogen worden! Jetzt müssen wir guten Boden holen und die Steine wegschaffen! Oh, Allah verfluche die Betrüger!« Er trank einen Schluck Wasser, den ihm Simon reichte, und zeigte auf eine Schubkarre mit einem Sack, die von Haphet gefahren wurde. »Ist diese Arbeit nötig?« schrie Rishon. »Bäume sollten wir pflanzen, aber nicht alle Steine Jordaniens abtransportieren!«
Noch dreimal fuhr Haphet mit der Schubkarre heran, lud Säcke auf den Wagen, warf das Handwerkszeug hinterher und pfiff dann auf den Fingern. Gideon und Simon sprangen wieder auf die Plattform. Haphet setzte sich ans Steuer, Rishon rannte aus dem Garten und lamentierte erneut.
»Wir kommen am Abend wieder!« rief er. »Wo sollen wir jetzt guten, fetten Boden herbekommen? Oh, der Betrug auf dieser Welt!« Er blieb vor einem der Diener stehen und spuckte vor ihm aus. »Der kleine Mann muß es immer machen! Lacht nicht! Wenn die Pflanzen verdorren, tritt man uns in den Hintern!«
Er setzte sich neben Haphet und stieß ihn an. Der Motor brummte auf, der klapprige Wagen fuhr einen Kreis und ratterte auf das Tor zu. Die wachhabenden Soldaten stießen es auf, und ungehindert passierten sie die letzte Gefahr.
»Nicht schneller fahren!« sagte Rishon, als er merkte, wie Haphet nervös auf den Gashebel drückte. »Erst unterhalb des Dschebels …«
Er kletterte während der Fahrt aus dem Führerhaus nach hinten auf die Plattform und klopfte an die Säcke, die neben Schubkarre, Werkzeug und noch nicht abgeladenen Sträuchern lagen.
»Ariela … Ariela …«
Im zweiten Sack bewegte sich Ariela. Eine Faust stieß durch die Jute. Rishon kniete sich neben sie.
»Bekommst du Luft?« fragte er.
»Ja, gut.«
»Kannst du es aushalten?«
»Es ist schrecklich heiß …«
»Noch eine halbe Stunde! Vorher kann ich den Sack nicht aufmachen. Hältst du noch eine halbe Stunde durch?«
»Wenn es sein muß, noch einen ganzen Tag. Wo sind wir?«
»Auf der Abdullah-Straße. Lieg still …«
Er setzte sich neben Ariela auf den Wagenboden und legte beide Hände auf den Sack. Er spürte ihre Bewegung unter seinen Fingern, ihre Wärme, ihr Leben. Das machte ihn unendlich glücklich und traurig zugleich. Denn neben ihr lag Schumann, und Rishon kam der böse Gedanke, daß man diesen Sack bei der Fahrt durch die Stadt vielleicht verlieren könnte. Wenn er in einer scharfen Kurve vom Wagen rollte, wer hatte dann noch Zeit, anzuhalten, zurückzufahren und ihn wieder aufzuladen?
Rishon schrak zusammen. Der dritte Sack bewegte sich heftig.
»Liegen Sie still!« zischte er. »Wir sind auf der Hauptstraße.«
Herbert Frank streckte sich, so gut es in dem Sack ging. »Haben Sie einen Whisky?« rief er dumpf durch das Jutegewebe.
Rishon antwortete nicht. Er legte eine Schaufel mit der Wölbung nach unten dort auf den Sack, wo er Franks Gesicht vermutete.
Eine halbe Stunde später wurde die Flucht entdeckt. Der Diener, der den Tisch für das Mittagsmahl decken wollte, fand die durchbrochene Mauer und das zerhackte Fenstergitter. Er schlug Alarm , warf sich auf die Erde und flehte Allah um Gnade an.
Suleiman unterbrach eine Konferenz, als man ihm die Ereignisse im Hause mitteilte, und fuhr sofort zum Dschebel El Luweibida. Dort rannte er durch die Zimmer, besichtigte die im Garten liegenden Bäume und hörte die Berichte über die vier Gärtner an.
»Gibt es nur noch Idioten?« schrie er. »Wer pflanzt denn im Sommer Bäume? Wer reißt denn blühende Sträucher aus? Da sitzen zwanzig Soldaten herum und fünf Diener, und vor ihren Augen entführt man die wichtigsten Leute Jordaniens? So wird Dummheit zum Staatsverbrechen.«
Das war nichts Neues, denn die meisten Staatsverbrechen werden aus Dummheit begangen, aber für Suleiman war das kein Trost. Er war gnadenlos,
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