Das Mädchen Ariela
Vögelchen, dachte er. Jetzt ist sie ganz allein auf der Welt; sie hat niemanden mehr, der sich um sie kümmert.
»Willst du ihn sehen?« fragte er leise.
Ariela schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht lag an Rishons Brust. »Ich habe ihn zuletzt gesehen, wie er im Panzer stand, wie er die Hand hob und durch die Wüste fuhr, dem Feind entgegen. Das war seine Welt … so will ich ihn immer vor Augen haben, wenn ich an ihn denke … nicht als blasse Hülle. Für mich lebt Arnos Golan ewig … er ist nur fort, irgendwo dort hinten im heißen Sand mit seinen Panzern.« Sie atmete tief auf, und Rishon wußte, daß für sie Arnos Golan nun begraben war. Angstvoll wartete er auf die nächste Frage, die nach diesem Seufzer kommen mußte. Und sie kam.
»Was ist mit Peter Schumann?«
»Das ist ein Kapitel für sich«, sagte er düster. Ariela hob den Kopf. Das kantige Gesicht Rishons über ihr war wie ein Stein aus dem Negev. »Er lebt …«
»Er lebt?«
Diesmal war es ein Aufschrei. Er zerschnitt Rishon das Herz, und er zwang sich, Ariela nicht von sich zu stoßen und zu schreien: ›Juble nicht! Ein Schuft ist er! Ein Schurke! Ein Verräter! Ich würde ihn mit meinen Händen erwürgen, wenn ich ihn vor mir hätte!‹ Aber er schwieg, bis Arielas Glücksschrei verhallt war und sie vor ihm stand, die Linke aufs Herz gepreßt, wie eine Beschenkte, die ergriffen ist von der Schönheit des Geschenkes.
»Er lebt wirklich …«, sagte sie leise. »Warum kommt er dann nicht? Ist er verwundet?«
»Nein! Er ist bei bester Gesundheit.« Rishon sah an die getünchte Decke. Seine Zähne knirschten aufeinander. Ariela, die hinter ihm stand, ergriff seinen Arm und drehte Rishon zu sich herum.
»Was verschweigst du mir, Moshe?« Ihre Augen waren von einer gefährlichen Dunkelheit. »Ich weiß, daß du ihn haßt! Aber es hat keinen Sinn, zu hassen, Moshe. Ich liebe ihn … Oh, ich weiß – er ist alles, was er nicht sein dürfte. Er ist Christ, er ist Deutscher, vielleicht war sein Vater sogar in der Hitlerpartei und hatte dort einen Posten … Ich weiß es nicht! Ich will es auch nicht wissen! Er ist ein Mensch, den ich liebe! Ein Mensch, weiter nichts! Warum hängt man ihm an, was seine Vorfahren taten? Ist es seine Schuld, als Deutscher geboren zu sein? Ebenso könnte man sagen: Seht dieses Volk der Juden … es hatte einen Angehörigen, der hieß Abraham und war bereit, seinen Sohn auf einem Opferstein zu schlachten! Mit einem solchen Volk kann man nicht verkehren … Laß ihn endlich in Ruhe, Moshe! Ich liebe ihn!« Sie stampfte mit den Füßen auf, und Rishons Herz zuckte, denn sie sah herrlich aus in ihrem wilden Zorn. »Weißt du, wo er ist?«
»Ja«, antwortete Rishon dumpf.
»Wo?«
»Irgendwo in Ägypten …«
Ariela starrte Rishon an, als habe sich dieser in eine Salzsäule verwandelt, wie es damals bei Lots neugierigem Weib geschah.
»Ägypten?« wiederholte sie. »Träumst du, Moshe?«
»Zwei gefangene ägyptische Generäle haben ihn gesehen. Ich habe sie verhört und vor zwei Stunden bei Dayan abgeliefert.«
Major Rishon wollte Ariela an sich ziehen, aber sie wich vor ihm zurück, als wolle er ihr etwas zuleide tun. Rishon ließ die Arme sinken. Auf seiner braunen Stirn stand plötzlich Schweiß. »Es ist kein Haß, Ariela. Die Lüge könnte nicht schrecklicher sein als die Wahrheit: Er ist ein Spion …«
»Das muß ein Irrtum sein«, sagte Ariela langsam. Sie dachte an das Zelt beim Kibbuz Qetsiot, an die Klapptische mit den Chemikalien, an ihre Verwunderung, daß man einen einzelnen Mann in die Wüste schickte, um Wasser zu untersuchen. Und das in diesen Stunden, an diesen Stellen, wo Israels Panzer auffuhren, um das nackte Leben eines Volkes zu schützen.
Rishon beobachtete sie, aber ihr Gesicht war glatt und braun und von einem fast hochmütigen Stolz.
»Es ist kein Irrtum«, erwiderte er hart. »Er fuhr in seinem Jeep bei Bir Gifgafa herum und flüchtete, als unsere Panzer kamen. Der andere General sah ihn bei Talata am Kanal. Er ist einer der Instrukteure, die der Generalstab der ägyptischen Armee an die Front geschickt hat. Einer der Generäle sprach ihn an … der Mann antwortete ihm in einer unverständlichen harten Sprache. Es war deutsch, sagte der General. Auch die Beschreibung stimmte genau. Ein Meter achtzig groß, dunkle Haare, sportliche Erscheinung, bekleidet mit einer Khakihose und –«
»Wer will das hören? Hör auf! Hör auf!« Ariela drückte die Hände gegen die Ohren. Ihr Gesicht verzog
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