Das Mädchen Ariela
zu sein, waren die Israelis nun überall. Hier half nur der Fatalismus des Mohammedaners, der alles hinnahm, weil es eben Schicksal war. Dabei wußte niemand, daß Jericho nur aus Zufall erobert worden war. Eine Panzerkolonne hatte sich verfahren, stieß in jordanische Lastwagenkolonnen hinein, fegte die Straße frei und sah plötzlich die Stadt vor sich liegen. Man nahm sie ohne große Schwierigkeiten ein, aber der Schock war für die jordanische Armee so groß, daß sie die Waffen hinwarf, weinend und doch irgendwie fasziniert. Nun war Jericho eine einzige riesige Herberge. Nicht weit von hier floß der Jordan, der Schicksalsfluß des Heiligen Landes.
Mahmud ibn Sharat war es gelungen, seinen Ochsenkarren bis Jericho zu lenken. Viermal hatten ihn israelische Patrouillen angehalten und aufgefordert, Vieh und Wagen stehen zu lassen. Die vierte Kontrolle, ein junger Leutnant, wollte die Ochsen sogar erschießen. »Es darf nichts aus dem Land außer Menschen!« schrie er. »Spann die Ochsen aus!«
Mahmud hob die Hände gegen den Himmel und stellte sich vor die Ochsen. »Ich bin ein guter Mensch!« rief er. »Ich bin ein Mensch, der den Sieger ehrt! Die Ochsen sollen nach Jericho auf den Markt! Eure Soldaten können sie dort braten! Herr Leutnant, gönnen Sie Ihren Tapferen diese Freude! Ich will sie verschenken, die Ochsen … als Lohn – er ist bescheiden – wäre nur die Fahrt mit ihnen zum Jordan. Dann gehen wir zu Fuß weiter, mein schwangeres Weib und ich.«
Er sah Narriman liebevoll an, und es blieb ihr gar nichts übrig, als dazu zu lächeln und die Hände über ihren Leib zu legen, als wolle sie ihr werdendes Kind schützen. Aber als sie dann weiterfuhren, sagte sie zu Mahmud:
»Das war das letztemal, daß Sie solche Dummheiten sagen!«
Mahmud lächelte breit. Er musterte Narriman unverhohlen und kämmte mit gespreizten Fingern seinen struppigen Bauernbart. »Es sind die Wünsche, welche mich zum Poeten machen«, sagte er. »Ich bete Sie an, Narriman …«
»Sie sollen keine Verse machen … Sie sollen Amman erreichen!«
Sie griff neben eine Kiste, wo ein Ochsenziemer lag, und hob ihn hoch. Mahmud, weit außerhalb der Reichweite, seufzte tief und griff den Ochsen in die Nüstern.
»Ah!« brüllte er. »Wollt ihr wohl, ihr Satane? Allah wird euch in Flöhe und Wanzen verwandeln! Voran, ihr stinkenden Kadaver! Voran!«
So erreichten sie Jericho und bekamen Quartier in einem halbzerschossenen Bauernhaus, weil sie bezahlen konnten. Tausende Flüchtlinge lagen ringsherum auf den Feldern und bis zum Rand der Wüste, buken an kleinen Feuern ihre Fladen oder hockten stumpfsinnig auf ihrer letzten Habe und starrten in die hereinbrechende Nacht. Israelische Jeeps und Lastwagen fuhren zwischen ihnen hindurch und verteilten Wasser. Eine Abordnung des Internationalen Roten Kreuzes war auch in Jericho, vor zwei Stunden mit einem Hubschrauber gelandet, und unterhielt sich mit jordanischen Flüchtlingen. Sie versprachen Hilfe … aber im Augenblick hatten sie nichts bei sich als Papier und eine Reiseschreibmaschine, um einen Bericht zu verfassen.
Mahmud schirrte die Ochsen ab, trieb sie in einen verfallen Stall und gab dem Sohn des Bauern zwei Piaster, damit er sie bewache. Narriman hatte unterdessen Dr. Schumann aus seinem Deckengefängnis befreit und ins Haus geführt.
»Wer ist das?« fragte der jordanische Bauer. Narriman winkte ab.
»Wenn du schweigst, weißt du mehr, als wenn du fragst.«
»Ich möchte keinen Ärger mit den Juden! Noch steht mein Haus!« schrie der Bauer.
»Glaubst du, Dummkopf, wir wollten uns erschießen lassen? Du hast nichts gesehen.«
Hinter dem Stall, in einem Verschlag, aßen sie zu Abend. Es war eine seltsame Tafel. Narriman hatte ein breites Brett über zwei hohe, schmale Steine gelegt und eine Decke darüber gebreitet. Drei silberne Becher und eine Flasche Wein standen darauf, eine Schüssel mit gequollenen Maiskörnern und Hammelgulasch und ein Korb mit Orangen. Mahmud trug die Speisen auf, die auf dem offenen Feuer gekocht worden waren, und hockte sich dann neben Narriman auf den Boden. Dr. Schumann streckte im Sitzen die Beine von sich.
»Sie verstehen es, Narriman, selbst eine Entführung zu einem Fest zu machen«, sagte er. »Wenn die Tausende um uns herum wüßten, wie wir hier mitten unter ihnen leben – sie schlügen uns tot!«
»Es wird bald eine Zeit kommen, wo man seinen Vater ermordet, um einen Schluck Wasser zu bekommen.« Narriman schob Dr. Schumann die
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