Das Mädchen Ariela
gegessen hatte und sich kräftiger fühlte.
»Das ist Ansichtssache, Doktor Schumann. Darüber unterhalten wir uns später. Erst müssen wir in Amman sein …«
»Es ist noch nie ein wertloserer Gegenstand mit soviel Gefahr und Aufwand transportiert worden wie ich.« Dr. Schumann trank mit kleinen Schlucken Wasser, in das Narriman eine Zitrone gepreßt hatte. Nach der glühenden Hitze unter den Decken war dieser Trunk von unbeschreiblicher Köstlichkeit. »Sie glauben doch nicht, daß ich eine einzige Formel verrate?«
»Sie werden sogar produzieren, Doktor Schumann.«
»Nie!«
»Man soll niemals nie sagen.«
Narriman setzte sich neben ihn auf den Wagenboden. Ihre wallenden schwarzen Beduinengewänder hatte sie geöffnet, und Schumann sah ihre braune, glatte Haut.
»Sie leben in Amman?« fragte er.
»Ja. Ich bin dort verheiratet.«
»Ach! Und Ihr Mann ist auch Agent?«
»Nein. Er ist Radar-Ingenieur. Er ist ein Deutscher. Ich heiße Narriman Frank.«
Dr. Schumann war einen Augenblick ehrlich verblüfft. Als er zu Narriman aufsah, trafen ihn dunkle, tiefe Blicke.
»Haben Sie das nötig?« fragte er.
»Ja.« Ihre Antwort war fest und eindeutig.
»Was sagt Ihr Mann dazu?«
»Ihm ist es gleichgültig.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich hasse die Juden. Ich werde Ihnen eines Tages erzählen, warum. Dieser Haß bewog mich auch, Herbert Frank zu heiraten. Nur mit dieser Heirat bekam ich ihn nach Amman. Jetzt entwickelt er Raketen, die aus der Tiefe Jordaniens heraus ganz Israel in ein Feuermeer verwandeln können. Sie sehen, der Zweck ist erreicht … Was geht mich jetzt noch der Mann Herbert Frank an?«
Dr. Schumann sah an Narriman vorbei in die Wüste und auf die Straße. Über sie zogen wieder die endlosen dunklen Kolonnen der arabischen Flüchtlinge. »Sie sind eiskalt, nicht wahr, Narriman?«
»Nicht immer, Doktor Schumann. Ich bin auch eine Frau …«
»Sie zu lieben wäre ein Selbstmord auf Raten!«
»Der schönste Tod …«
»Ich bedauere Ihren Mann.«
»Sie werden ihn kennenlernen und sprechen. Er ist glücklich.«
»Unmöglich!«
Mahmud kam durch die Ruinen und klatschte in die Hände.
»Weiter!« rief er. »Wir müssen in der Nacht in Djiftlik sein! Kriech unter die Decken, du weißes Schwein!«
»Ein unhöflicher Mensch!« sagte Schumann. Narriman schob die Decken über ihn. Die dumpfe Hitze hüllte ihn wieder ein.
»Ein hirnloser Schwätzer.« Narriman hockte sich auf die Kiste, während Mahmud mit lautem Geschrei und Stockhieben die Ochsen zurück auf die Straße trieb. »Aber die Hirnlosen sind die größten Patrioten.«
»Auch bei Ihnen?« fragte Dr. Schumann bitter.
»Überall.«
»Aber Sie sind doch klug, Narriman.«
»Ich bin auch kein Patriot. Ich bin nur eine Frau, die glühend haßt. Wissen Sie etwas von diesem Unterschied?«
»Ich ahne ihn. Dummkopf und Satan … so ist es doch?«
Sie hatten die Straße erreicht. Die Fahrt ging weiter. Schumann legte seinen Kopf auf den Holzboden und atmete tief die stickige Luft ein. Der Weg vom modrigen unterirdischen Gang zum Ochsenkarren eines Jerusalemflüchtlings bis hierher zur Straße nach Jericho war an die Grenze seiner Kräfte gegangen. Was aber erwartete ihn in Amman? Wer war Herbert Frank? Und plötzlich kam ihm zum Bewußtsein, daß er die letzte Fahrt seines Lebens angetreten hatte, daß er dem letzten Ziel entgegenfuhr … denn war er einmal in Amman, würde er diese Stadt nie mehr verlassen können.
Mein letzter Weg, dachte er. In der Wüste werde ich enden.
Ariela … Gott mit dir. Wir sehen uns nicht mehr.
Er schloß die Augen, dachte an Ariela und an die einzige Nacht, in der er wirklich glücklich gewesen war.
Und auch da war Wüste um ihn gewesen, und die Sterne der kalten Nacht hatten über dem Zelt gestanden.
Vor Erschöpfung schlief er ein.
4
Mit einem Hubschrauber traf Major Moshe Rishon in Jerusalem ein. Er kam aus der Sinai-Wüste und brachte drei gefangene ägyptische Generäle zum Hauptquartier Moshe Dayans.
Aber er brachte noch zwei schwerere Lasten mit. Die Todesnachricht von Oberst Arnos Golan und die vom Geheimdienst erkannte Wahrheit, daß der Arzt Dr. Peter Schumann auf ägyptischer Seite stand und in Israel Spionagedienste geleistet hatte.
Für Major Rishon war es ein schrecklicher Gang zum Krankenhaus und ins Zimmer Arielas. Noch schwerer wurde es ihm, als er von der Stationsschwester erfuhr, Ariela sei völlig verstört. Sie habe erfahren, ihr Geliebter sei plötzlich
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