Das Mädchen Ariela
Kraft. Er sah nicht mehr, was er traf, er spürte nur, daß er in etwas Nasses, Klebriges hineinhämmerte und daß plötzlich nichts mehr vor ihm war und seine letzten Schläge ins Leere, in die Luft zischten.
Mahmud lag auf dem Teppich, auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet. Das Gesicht voll Blut, der Mund aufgedunsen, als habe man Luft in die Lippen geblasen.
Schumann sah seine Fäuste an. Er schüttelte das Blut von seinen Fingern, schwankte zu dem Balkon und lehnte sich weit über die Brüstung. Unten, im Innenhof, plätscherte der Brunnen.
In diesen Minuten der Erschöpfung aber wurde in Schumann ein irrsinniger Gedanke geboren. Gab es einen Weg nach Amman, so mußte es auch einen Weg zurück nach Jerusalem geben. In dem Völkergemisch, das der Krieg hin und her treibt, in der Ebbe und Flut von Flüchtlingen und Zurückkehrenden würde es auch eine Welle geben, die ihn hinüberspülte nach Israel, zurücktrug ins Heilige Land, zurück zu Ariela …
Dr. Schumann rannte in sein Badezimmer, wusch sich, warf seinen arabischen Umhang über, setzte das Kopftuch auf, steckte den Dolch Mahmuds in seinen Gürtel und trat hinaus in das von Säulen getragene Treppenhaus.
Er sah niemanden. Die Diener mußten in einem anderen Teil des großen Hauses wohnen, oder man hatte sie für diese Nacht weggeschickt.
Unbehelligt erreichte Schumann die Eingangshalle, öffnete die Tür und trat hinaus auf die Straße. Ruhig, als sei er ein später Spaziergänger, ging er zwischen den niedrigen Araberhäusern den Weg vom Dschebel hinunter und erreichte nach zehn Minuten die King-Feisal-Street, die neue Prachtstraße, die zur Unterstadt führt und an der herrlichen El-Hussein-Moschee endet.
Hier geriet Dr. Schumann in einen nächtlichen Menschenstrom, wurde an Cafes und Läden vorbeigetrieben, sah riesige Plakatwände mit den Bildern König Husseins und Nassers, bemerkte auf allen Plätzen jordanisches Militär und blieb ein paarmal stehen, um zurückzublicken zum Dschebel El Luweibida, wo er vor einer halben Stunde noch ein wichtiger Staatsgefangener gewesen war.
Hier, mitten in der Stadt, kümmerte sich keiner um ihn. Niemand sah ihn kritisch an, niemand betrachtete ihn argwöhnisch, keiner hielt ihn an und schrie: »Das ist ein Europäer! Auf ihn!«
In der Masse der Menschen war er einer von ihnen. Es war unbegreiflich, wie einfach es gewesen war, von Mahmud und Narriman wegzukommen.
Nach einer Stunde erreichte Schumann das alte Römische Theater, den riesigen Halbkreis mit den steinernen Sitzreihen, auf denen zur Zeit des Antonius viertausend Zuschauer den Gladiatoren zujubelten oder den Chören der Tragödien lauschten.
Hier erst ruhte sich Dr. Schumann aus und setzte sich auf einen Säulenrest.
Davongelaufen war er nun … aber wie kam man nach Jerusalem?
Was unternahmen Mahmud und Narriman, nachdem sie sein Verschwinden bemerkten? War die Polizei schon alarmiert? Suchten die Spitzel der politischen Geheimtruppe schon in den Straßen? War er so wichtig, daß man alle Straßen, die aus Amman hinausführten, sperrte? Saß er in einem riesigen Käfig, der von Stunde zu Stunde enger wurde?
In diesen Minuten war es Dr. Schumann gleichgültig. Die Erschöpfung warf ihn einfach um. Er legte sich neben der Säule auf die Erde und schloß die Augen.
Unbewußt tat er damit das Beste, denn Hunderte lagen nachts im Freien und schliefen in Ruinenecken, zusammengerollt wie frierende Hunde. An ihnen ging man vorbei wie an Unrat und blickte nicht einmal hin. Wer ahnte schon, daß so ein Dr. Schumann schlief, der für Jordanien das Heilige Land wiedergewinnen sollte …
Am Morgen weckte ihn der Lärm der Straße. Panzer ratterten über den Theaterplatz, und Kolonnen von Lastwagen mit jordanischen Soldaten fuhren die Hashimi-Street hinunter, der Ausfallstraße nach Jerusalem entgegen. Was Schumann schon hinter der Allenby-Brü cke auf jordanischer Seite gesehen hatte, wurde hier noch bestätigt. Israel hatte eine große Schlacht nach allen Seiten hin gewonnen, aber nicht den Krieg! Der Waffenstillstand war kein Frieden … der Aufmarsch der Araber ging weiter. Hinter der Allenby-Brücke war ein Heerlager entstanden; jedes Wadi, durch das ein Panzer hätte fahren können, war vermint, die Straßen ins Innere waren zur Spren gung vorbereitet, in den Steinhaufen der Wüste saßen wie kleine Forts Trupps mit Panzerabwehrkanonen, Minenwerfern und Feldge schützen. Hinter Sanddünen warteten Panzereinheiten. Flammte der Krieg zum zweitenmal
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