Das Mädchen Ariela
Cabernazzi zerdrückte seine Zigarette. Er war sehr nervös. »Es könnte sein, daß Ihre Anwesenheit nach außen dringt. Wir haben jordanische Hilfsschwestern, jordanische Krankenpfleger, jordanische Laufburschen und Putzfrauen. Hier wird alles beobachtet, alles registriert, alles nach außen getragen. Wir sitzen wie in einem Glashaus. Ihre Anwesenheit könnte den jordanischen Staat veranlassen, das Krankenhaus zu enteignen. Proteste aus Italien? Ich bitte Sie – was will Italien machen? Einen kleinen Privatkrieg gegen Jordanien – wegen eines Krankenhauses? Die UNO? Man lacht ja darüber! Eine Rechtsgrundlage? Mein Bester, was ist Recht im Orient? Sie sind doch lange genug hier, um das zu wissen. Recht hat der Stärkere. Und das ist im eigenen Land immer der Jordanier!«
Dr. Schumann nickte. Es stimmte alles, was Dr. Cabernazzi sagte … und doch war es nichts als ein gutformulierter, höflicher und taktvoller Hinauswurf. Er schob den Teller weg, auf dem noch ein belegtes Brötchen lag, und stand auf.
»Ich möchte Ihnen keine Schwierigkeiten machen, Kollege. Es war schön, daß Sie mich für eine Stunde Mensch sein ließen. Gleich werde ich wieder ein dreckiger Beduine sein. Ich habe ja noch meine Bartstoppeln. Schmutzig werde ich allein.«
Dr. Cabernazzi sprang auf. Ihm war das alles äußerst peinlich. Aber er hatte die Verantwortung für das Krankenhaus. Man konnte nicht ein großes Werk aufs Spiel setzen, um vielleicht einen einzelnen zu retten. Wobei das Vielleicht ganz groß geschrieben werden mußte!
»Haben Sie Geld, Kollege?« fragte er.
»Keinen Piaster.«
»Ich gebe Ihnen hundert Dinare. Damit können Sie allerhand anfangen.« Dr. Cabernazzi griff in die Tasche und holte einige Geldscheine hervor. Dr. Schumann nahm sie, und er hatte durchaus nicht das Gefühl, wie ein Bettler dazustehen.
»Ich schicke sie Ihnen wieder, wenn ich in Jerusalem gelandet bin.«
»Das würde mich aufrichtig freuen. Nicht das Geld … die Nachricht, daß Sie wieder in Jerusalem sind.«
Dr. Cabernazzi begleitete Dr. Schumann hinunter bis zum Eingang. Dort sahen sie gemeinsam auf die Straße. Auch hier, auf der Ausfallroute nach Petra und Akaba, rollten Kettenfahrzeuge, Panzer, Truppentransporter, Artillerie.
»Sie haben den Krieg noch nicht verloren, sehen Sie es. Kollege?« sagte Dr. Cabernazzi. »In den nächsten Tagen werden Transportflugzeuge neue Waffen bringen. Für die Waffenhändler ist jetzt ein herrlicher Boom!« Er sah Schumann von der Seite an. In einer Aufwallung seiner italienischen Herzlichkeit legte er sogar den Arm um seine Schulter. »Wo werden Sie wohnen? Haben Sie eine Ahnung?«
»Gar keine. Ich werde herumstrolchen. Ich werde mich vielleicht den wilden Hunden anschließen.« Schumann zuckte mit den Schultern. »Auf jeden Fall werde ich nach Westen ziehen, zum Jordan. Ich habe als junger Bursche mal die Weser durchschwommen … da werde ich den Jordan auch noch schaffen.«
»Ich weiß etwas viel Besseres. Gehen Sie lieber zu Ali, dem Flötenspieler.«
»Wer ist denn das?«
»Ein netter alter Mann. Eine Touristenattraktion. In der Saison sitzt er am Römischen Theater und bläst auf einer Beduinenflöte. Er ist der meistfotografierte Mann von Amman. Sein Verdienst ist enorm. Stehen Engländer um ihn herum, bläst er den River-Kwai-Marsch, sind's Italiener, bläst er O sole mio, sind's Amerikaner spielt er White Christmas …«
»Und bei den Deutschen?«
»Sie werden lachen: Die Fahne hoch!«
Schumann verzog das Gesicht zu einem matten Lächeln. Er gab Dr. Cabernazzi die Hand. »Es ist nett von Ihnen, mich aufzuheitern. Fröhlich in die Hölle …«
»Nein! Sie sollen wirklich zu Ali gehen. Er liebt die Deutschen. Er wird Sie bei sich verborgen halten, und dort sucht Sie bestimmt niemand. Das heißt, wenn es Ihnen nicht zuwider ist, in einem Haus zu wohnen, wo Ziegen und Schweine, Hühner und Hunde mit Ihnen und neben Ihnen schlafen.«
»Ich lege mich zu des Teufels Großmutter, wenn ich dort Ruhe vor Mahmud und Narriman habe.«
»Gut. Ali wohnt in der Gasse der sieben Rosen.« Cabernazzi lachte. »Lassen Sie sich nicht von dem poetischen Namen einfangen … es stinkt dort wie nach siebzig Misthaufen! Und sagen Sie Ali, ich schickte Sie. Ich habe Ali vor zwei Jahren operiert. Er hatte einen Leistenbruch, so dick wie eine Keule.«
Dr. Schumann sah nicht mehr zurück, als er wieder auf der Straße stand und im Staub, den die Lastwagenkolonnen aufwirbelten, stadteinwärts ging. Der Schmutz,
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