Das Mädchen Ariela
schlanken Mi narette der El-Hussein-Moschee stachen in den Nachthimmel, in den Straßen der Neustadt schimmerten die Lichter, weit in der Fer ne begannen die Wüstenberge, grauschwarze Wände in der Nacht , durchsetzt mit silbernen Platten, wenn der Mondschein bei seiner Wanderung über ebene Wüstenfelder glitt.
Dr. Schumann hatte noch keine Zeit gehabt, sein großes Haus zu besichtigen. Er hatte sich unter die Brause gestellt und den Schmutz der Wanderung abgespült. Nun genoß er die Kühle der Nacht nach Tagen der Glut, saß in einem Korbsessel auf dem flachen Dach und sah über Amman. Hinter ihm stand Narriman und hatte beide Hände auf seine Schultern gelegt. Sie schwiegen eine lange Zeit, nur ab und zu verstärkte sich der Druck von Narrimans Fingern.
»Eine Nacht voller Frieden«, sagte sie. Ihre Stimme klang merkwürdig hohl. »Wie gefällt Ihnen Amman, Doktor?«
»Müssen Sie nicht nach Hause?« erwiderte er.
»Wer erwartet mich denn?«
»Ihr Mann.«
»Er weiß gar nicht, daß ich gekommen bin. Wir haben uns in diesem Jahr dreimal gesehen …« Sie beugte sich herab und legte das Kinn auf Schumanns Haare. »Ich mag Sie, Peter«, sagte sie mit erschreckender Offenheit. »Ich werde heute nacht bei Ihnen bleiben. Und morgen und übermorgen … und alle Tage … und Nächte …«
»Und immer auf dem Dach? Es wird langweilig werden, Narriman. Einmal erschöpft sich auch der schönste Blick auf Minarette und Kuppeln.«
»Ihr Spott ist keine gute Waffe, Peter.« Narriman umschlang seine Schultern, drückte seinen Kopf nach hinten und versuchte ihn zu küssen. Sie war stark in ihrem Verlangen, aber Schumann befreite sich mit einem Ruck und hielt ihre Hände fest, die ihn streicheln wollten.
»Ich liebe Sie, Peter«, sagte Narriman. Ihr Atem flog über seinen Nacken, als sei sie schnell gelaufen. »Bin ich denn aus Holz? Sind Sie kein Mann, Peter?«
»Sie vergessen Ariela, Narriman!« Schumann stand auf. Narrimans Arme fielen herab.
»Wollen Sie, daß ich sie vernichte?« sagte sie leise. »Wollen Sie, daß ich diese kleine mandeläugige Jüdin zum Popanz mache? Ich kann sie töten mit meinem Haß!« Und plötzlich sprang sie heran und riß Schumann an den Schultern herum. »Wollen Sie sie hier haben?« schrie sie. Ihre Augen sprühten vor Haß. »Soll ich sie Ihnen herholen? Soll ich sie Ihnen zeigen, wie sie als Marionette an meinen Fingern tanzt? O Gott, warum zwingen Sie mich, so zu sein? Warum lieben Sie mich nicht, Sie Narr?«
Stumm wandte sich Dr. Schumann ab und verließ das flache Dach. Er stieg hinunter in die prunkvollen Räume mit den Säulen und Bogenfenstern, und er hatte das schreckliche Gefühl, daß Narriman die Möglichkeit besaß, auch Ariela aus Jerusalem herauszuholen.
Das Gefühl, nicht allein zu sein, dieses Kitzeln der Nerven im Nacken, wenn alle Sinne angespannt sind, Gefahren zu erahnen, ehe man sie erkennt, ließ Schumann sich schnell umdrehen, als er das hallenartige Wohnzimmer betreten hatte und seine Taschen abtastete, ob er noch eine Zigarette fand.
Zwischen zwei schlanken Säulen, die einen kleinen Balkon zum Innenhof zierten, aus dem das leise Plätschern eines Springbrunnens heraufklang, stand Mahmud ibn Sharat. Auch er hatte sich umgezogen und trug jetzt einen kostbaren, mit Goldstickereien reich besetzten Haikh, jenes mantelartige Kleidungsstück der Beduinen-Scheiks und reichen Araber, das Würde, Hoheit und Macht ausdrückte.
»Was machen sie hier?« fragte Schumann. »Ich dachte, das seien meine Räume? Ich liebe es nicht sonderlich, wenn man mir nachts auflauert …«
Mahmud löste sich aus dem Schatten des Balkons und kam näher. Er sprach, wie immer, wenn er sich mit Schumann unterhielt, englisch.
»Sie sind gerade ein paar Stunden in Amman«, sagte er. Sein Raubvogelkopf unter dem Kopftuch wirkte wie aus braunem Holz geschnitzt. »Sie mögen für Jordanien ein wichtiger Mann sein – das ist Sache der Politiker. Für mich sind Sie ein Floh, der mich stört!«
»Ich kann nicht behaupten, daß mir Ihr Anblick sonderlich gefällt. Aber um uns das zu sagen, brauchen wir uns nicht eine Nacht auszusuchen.«
»Narriman ist bei Ihnen?« fragte Mahmud.
»Ja. Sie sitzt noch auf dem Dach.«
»Sie wird bei Ihnen bleiben?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie lügen!«
»Gehen Sie aufs Dach und fragen Sie sie selbst.«
Dr. Schumann sah sich um. Der riesige Raum war fast leer bis auf eine Sesselgruppe und einen langen Tisch mit Marmorplatte im Hintergrund. Über den
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