Das Mädchen Ariela
einem Messer einen Bauch aufschlitzt! Wie man zustößt zwischen Magen und Blase … Ich habe immer die Augen zugemacht, wenn ich zustechen mußte … aber jetzt sehe ich! Und ich will sehen!« Sie hob das lange Messer mit dem verzierten Griff, drehte die Faust um und deutete so die Stoßrichtung von unten nach oben an.
Ich werde ihn töten, dachte sie. Ich muß es! Ist das Mord, o Gott? Ich habe noch nie einen Menschen mit meinen Händen umgebracht. Ich habe oft gebetet: Gott, laß es nie so weit kommen, daß ich sehe, wie vor mir ein Mensch stirbt, den ich getötet habe. Wir sind zur Tapferkeit erzogen worden, ich war die Beste im Offizierslehrgang, mein Vater war so stolz auf mich … doch jetzt töte ich nicht für das Vaterland, jetzt töte ich um meiner selbst willen, die ich nur einem gehöre … O Gott, wenn es gerecht ist … führe den Stoß, daß er gut ist und mich erlöst von diesem Scheusal …
Sie duckte sich, und in diesem Augenblick schrie Mahmud auf. Die Lähmung wich von ihm, er brach seitlich aus und lief mit wehendem Burnus davon.
Ariela sah ihm nach. Ihre Augen waren traurig.
Er lebt, dachte sie. Gott, du hast ihn am Leben gelassen.
Warum?
Er wird wiederkommen! Und er wird Rache nehmen. Ein arabischer Mann, der davonläuft vor einer Frau … Er wird sich vorkommen wie ein Aussätziger.
Sie steckte das Messer unter das Kleid.
Der kalte Stahl lag auf ihrer Haut, und sie fror plötzlich vor Entsetzen.
Sie hatte ein Messer, und keiner wußte es.
Mit einem Messer kann man den Himmel aufschneiden, sagen die Chinesen.
Und man kann es gebrauchen, wenn das Leben unerträglich wird, dachte Ariela.
Sie rannte ins Haus, als sie draußen das Knirschen der Bremsen hörte. Dr. Schumann war zurückgekommen.
Ich habe ein Messer, dachte sie. Ich habe ein Messer.
Stundenlang rannte Major Rishon von Dienststelle zu Dienststelle. Unter den Arm hatte er die Aktentasche mit den entschlüsselten Funksprüchen aus Jordanien und Ägypten geklemmt. Er trug sie herum wie ein Heiligtum, und wenn er sich in seinem Jeep durch Jerusalem fahren ließ, preßte er die Aktentasche an die Brust.
General Dayan war in Gaza und besuchte Lazarette. Stabschef Rabin inspizierte die Stellungen am Jordan. So war General Yona der einzige, der Rishon helfen konnte, aber er half nicht.
»Wie stellen Sie sich das vor, Moshe?« fragte er, nachdem er die Funksprüche durchgelesen hatte. »Sollen wir wegen Ariela den Waffenstillstand brechen, einen neuen Krieg führen und Amman erobern? Sie sehen doch ein, daß dies Utopien sind! Außerdem wäre Ariela nicht mehr in der Stadt, wenn wir einmarschierten, oder sie läge tot auf der Straße.«
»Sie ist entführt worden!« schrie Rishon.
»Das ist mir klar. Ich bin doch kein Dummerchen.« General Yona klappte die Mappe zu. »Wir hatten nach groben Schätzungen in diesem Krieg sechshundert Tote – die genauen Zahlen kommen erst noch – und einige tausend Verwundete. Betrachten wir Ariela als Kriegsopfer.«
»Das sagen Sie so einfach …« Rishon zitterte am ganzen Körper. »Die Tochter Golans …«
»Wenn's die Tochter Dayans wäre, glauben Sie, Moshe, der Alte würde ein Wort darüber verlieren? Es geht um größere Dinge. Sie haben den Code erbeutet. Das ist ein Fang! Noch wissen die Ägypter nicht, daß wir ihr großes Geheimnis kennen. Aber sie werden es sofort wissen, wenn wir in die Welt posaunen: Ariela ist in Amman!«
»Wir müssen also tatenlos mitansehen, daß man Ariela für irgendwelche schmutzigen Zwecke mißbraucht?« Rishon atmete schwer. »Das geht doch nicht, General.«
Yona sah den bebenden Major mit ehrlichem Mitgefühl an. Auch er kannte Ariela Golan, wie er den Vater gekannt hatte. Er sah sie vor sich, wie er sie vor einem halben Jahr zum letztenmal getroffen hatte, in einem engen Kleidchen, die langen Haare in zwei dicke Zöpfe geflochten. Er seufzte und lehnte sich zurück.
»Moshe, wir können offiziell nichts tun! Das Geheimnis des Code und Ariela sind zu eng miteinander verknüpft. Aber Sie können privat aus diesem Teufelskreis heraus.«
»Privat?« fragte Rishon erstaunt. General Yona nickte mehrmals.
»Ja. Überlegen Sie mal, wie! Sie sind ein intelligenter Mann, Moshe! Und außerdem sind Sie in der Abwehr.«
Rishon fuhr noch viel herum an diesem Abend und auch noch am nächsten Morgen. Es gelang ihm sogar, zehn Minuten lang Ministerpräsident Eschkol zu sprechen, ihm die Funksprüche zu zeigen und ihn zu bitten, auf diplomatischem Wege, etwa
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