Das Mädchen Ariela
Familienväter, sich nicht zu beteiligen.«
Niemand rührte sich. Rishon sah in den Gesichtern seiner Offiziere ein stolzes Lächeln. Für was hält er uns?
»Ich werde zehn von Ihnen aussuchen«, sagte Rishon. »Hauptmann Haphet, Sie bleiben bitte. Wir werden den Plan entwickeln. Danke, meine Herren.«
Die Offiziere grüßten und verließen den Kartenraum. Fünf Minuten später wußte General Yona, was Rishon gesagt hatte.
»Ich habe es nicht anders erwartet«, meinte er zu seinem Adjutanten. »Aber vergessen Sie alles, Nathan. Wir wissen von gar nichts!«
Die ganze Nacht hindurch saßen Rishon und Hauptmann Haphet zusammen. Der Plan gedieh. Es war ein schöner Plan.
Aber sie waren sich ebenso einig, daß er das Leben von zehn israelischen Offizieren kosten konnte, von denen später niemand auf der Welt wußte, wer sie waren, woher sie kamen und was sie wollten.
Zehn Namenlose in der Wüste.
Die israelischen Behörden kannten keine Verzögerungen. Darin un terschieden sie sich von den deutschen Behörden, die je nach Laune langsam oder mittellangsam, aber niemals schnell arbeiten kön nen. Müller aus Köln, der im Untersuchungsgefängnis noch immer auf Verständnis dafür hoffte, daß der Anblick eines sowjetischen T 34 auf einen ehemaligen deutschen Landser alarmierend wirkte , sah sich bitter enttäuscht. Noch bevor ein regulärer Prozeß in Aus sicht war – dazu sollte es kommen, hatte der Botschaftsrat gesagt, und man wolle auch einen guten Anwalt stellen –, wurde Müller ei nes Morgens aus der Zelle geholt, in eine Art Kleiderkammer geführt und erhielt dort einen weißen Kittel, eine weiße Hose, ein graues Hemd und breite Schuhe mit Holzsohlen. Er protestierte zwar heftig und berief sich auf Völkerrecht und Haager Konvention, aber die Gefängnisbeamten in Jerusalem waren anscheinend aus dem gleichen Holz wie ihre deutschen Kollegen, sie tippten sich vielsagend an die Stirn und ließen Müller keine andere Wahl, als die Kleidung überzustreifen.
Das war schon sehr früh, kurz nach Morgengrauen. Er bekam ein kräftiges Frühstück aus Milchbrei und Matzen, Honig und Marmelade, wurde dann in den Hof geführt und sah dort einen Wagen stehen, aus dem die Stiele einer Hacke, eines Spatens, einer Schaufel und eines großen Vorschlaghammers herausragten.
»Ich protestiere!« schrie Müller und blieb stehen. »Ich bekenne mich nicht schadensersatzpflichtig! Ich weigere mich, auch nur einen Schippenstiel anzurühren!«
Viele Worte – viel Zeit, dachten die Israelis. Sie stießen Müller in den Wagen und fuhren ihn zu dem Haus, das er mit seinem Volltreffer zerbombt hatte. Eine Kolonne Bauarbeiter war schon da, ein Bagger ratterte. Lastwagen fuhren die Trümmer weg. Man riß das Haus endgültig bis auf den Keller nieder. Vom Fundament aufwärts sollte neu gebaut werden … mit Müllers Geld und Müllers Arbeitskraft.
Verloren stand Willi Müller auf der Kellerdecke, sah um sich, schwitzte und stützte sich auf einen Hackenstiel. Um ihn staubten die Trümmer, die man in die Lastwagen baggerte.
»Los! Mach schon!« schrie ihn jemand auf deutsch an. »Im Steinbruch von Buchenwald hätten sie dich schon längst totgeschlagen …«
Müller zog den Kopf ein und stieß die Hacke in einen Mauerrest. O welch ein Mist, dachte er. Sie machen mich hier fertig, und keiner kümmert sich um mich! Keiner.
Er war dem Weinen nahe, aber er hieb mit der Hacke auf die Trümmer ein, als bedeute jeder Schlag einen Tag weniger von der Strafe, die ihn erwartete.
Und ohne es zu ahnen, hatte er sogar recht.
Die Mittagspause verbrachte er in einem Zelt neben der Baustelle. Es gab eine Bohnensuppe mit Hammelfleisch. Willi Müller hatte nie Bohnensuppe gekocht, und Hammelfleisch, sagte er, stinke. Diese Suppe aber in dem heißen Zelt, inmitten von weißblendenden Steinen, schmeckte so unvergleichbar köstlich wie damals die Kelle voll Kascha im sowjetischen Lager Podeisk, als man nach acht Tagen Hunger die erste warme Mahlzeit bekam.
Dann saß Müller mit den anderen Bauarbeitern vor dem Zelt, rauchte eine Zigarette, die man ihm gegeben hatte, und trank mit Wasser verdünnten Orangensaft.
Durch die Altstadt fuhren wieder die Touristenbusse. Aus allen Teilen Israels strömten die Gläubigen herbei, um an der Klagemauer mit Gott zu sprechen. Noch nie war Jerusalem so voller Fremden wie in diesen Tagen.
Eine Gruppe Deutscher mit einem Fremdenführer ging über den Platz. Müller erkannte sie sofort an den knielangen Shorts,
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