Das Mädchen Ariela
über eine Kontaktmacht, in Amman vorstellig zu werden. Aber auch Levi Eschkol nahm sofort den Gedanken des Generals Yona auf.
»Bedenken Sie«, sagte er eindringlich, »was der Code für Israel bedeutet. Es kann sein, daß die Ägypter ihn in den nächsten Tagen ändern … dann könnten wir es versuchen. Aber solange wir die Funksprüche ungestört entschlüsseln können, wäre es ein Dolchstoß in den Rücken unseres Landes, so etwas aus der Hand zu geben.«
Gegen Mittag war Moshe Rishon am Ende seiner Kraft. Er saß wieder hinter seinem Schreibtisch, und diesmal hätte er wirklich mit Stühlen um sich geworfen, wenn ihn jemand gestört hätte.
Privat sollte man es regeln, dachte er immer wieder. Was meinte Yona damit?
Er saß bis zum Abend ungestört in seinem heißen Zimmer und wälzte Gedanken. Zunächst war ihm völlig klar, daß Dr. Schumann Ariela mit einer List nach Jordanien gelockt hatte. Die Gefangennahme des russischen Majors Jegorow hatte bewiesen, daß Rishon tagelang einer falschen Spur nachgejagt war. Nicht nach Ägypten war Schumann geflohen, sondern auf dem nächsten Weg nach Amman. In den Wirren der ersten Kriegstage, in denen man manchmal nicht mehr wußte, ob man im eigenen, im eroberten oder in noch von jordanischen Soldaten besetztem Gebiet war, mußte es ihm leichtgefallen sein, den Jordan zu überqueren.
Sein Haß auf Deutschland wurde riesengroß. Er dachte an die Gedenkhalle für die Opfer der deutschen Konzentrationslager, die nicht weit von hier lag. In den Boden waren als Tafeln die Namen der Vernichtungslager eingelassen … Auschwitz, Maidanek, Bergen-Belsen, Dachau, Buchenwald, Theresienstadt, Treblinka … Hier hatte er oft gestanden, auf das Halbrund der großen Felskiesel gestarrt, die die Halle abschlossen, er hatte die Namen gelesen, die Augen geschlossen und die Verladerampen gesehen, die Gaskammern, die Verbrennungsöfen, die Haufen von abgeschnittenen Frauenhaaren, den Berg herausgebrochener Goldzähne … Und er hatte als Zuschauer im Gerichtssaal gesessen, als der Deutsche Eichmann in einem kugelsicheren Glaskäfig um sein Leben rang, sich rechtfertigen wollte und doch nur demonstrierte, was eine bürokratische Todesmaschinerie bedeutete.
Major Rishon zuckte zusammen. Der Name Eichmann fiel wie Feuer in sein Herz. Er griff zum Telefon und rief alle Mitarbeiter zusammen, die erreichbar waren. »In den Kartenraum!« befahl er. »In zehn Minuten. Alle!«
Mit klopfendem Herzen und vor Erwartung strahlenden Augen trat Rishon seinen Mitarbeitern gegenüber. Ein paar Nachzügler kamen noch herein, grüßten stramm und stellten sich zu den anderen. Auch der Chef der Dechiffrierabteilung war gekommen, aus Neugier. Es hatte sich herumgesprochen, daß Rishon etwas vorhatte.
»Meine Herren«, sagte Rishon mit belegter Stimme. »Sie alle wissen, daß Ariela Golan in jordanischen Händen ist. Unsere Kontaktmänner in Amman sind schon auf der Suche. Für alle offiziellen Unternehmungen sind uns die Hände gebunden. Aber ich erinnere Sie an den Fall Eichmann. Es erschien aussichtslos, ihn nach Jerusalem zu holen, und es gab doch einen Weg! Südamerika ist weiter als Jordanien.« Rishon sah sich im Halbkreis, der ihn umgab, um. Auf vielen Gesichtern bemerkte er, daß sie schon ahnten, was kommen würde. Er nickte mehrmals und ging hinter seinen großen Kartentisch, auf dem mit Steckfähnchen die einzelnen Stellungen der Truppen bezeichnet waren. »Ich sage Ihnen ehrlich, daß weder von der Regierung noch von der Armee irgendeine Unterstützung zu erwarten ist. Es ist ein Privatunternehmen.« Rishon legte seine Hand auf den großen Fleck der Karte, über dem Amman stand. »Ich brauche zehn Freiwillige.«
Wie auf ein Kommando traten sämtliche Offiziere und Unteroffiziere vor, die im Kartenraum waren. Nur der Chef der Dechiffrierabteilung stand allein im Hintergrund. Er durfte nicht vortreten, sosehr es ihn auch drängte. Rishons Augen leuchteten.
»Ich danke Ihnen, meine Freunde. Aber ich wiederhole: Das Unternehmen ist privat. Wir haben keinen diplomatischen und keinen militärischen Schutz. Wir sind ganz allein auf uns gestellt. Geht es daneben, wird man uns in der Heimat verleugnen. Keiner wird uns kennen. Um unsere Witwen wird sich keiner kümmern. Von dem Augenblick an, wo wir die Grenze überschreiten, sind wir vogelfrei.« Rishon machte eine kleine Pause. »Ich nehme es keinem übel, wenn er zurücktritt«, sagte er dann leise. »Ich bitte sogar die Verheirateten und
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