Das Mädchen Ariela
keine Zeit mehr dazu …«
»Ich verspreche es Ihnen, Major.« Der junge Offizier sah zu den vier anderen Arabern, die im Sand hockten und warteten. »Sie können sich jetzt in die Schlange eingliedern, Major.«
»Danke.« Rishon blickte auf seine Uhr. Jetzt ist Hauptmann Haphet schon in Rom, dachte er. Er hat es einfacher. Er braucht unter seinem Burnus keine Waffen zu schmuggeln.
Rishon schnallte seine Armbanduhr ab und gab sie unauffällig dem Offizier.
»Heben Sie sie auf, Leutnant. Ich brauche keine Uhrzeit mehr. Es fällt auf, wenn ein zerlumpter Araber wie ich eine Armbanduhr hat. Sieht man die Waffen?«
»Gar nicht, Major. Wo haben Sie sie bloß?«
»Die zusammengeklappte Maschinenpistole hängt zwischen den Beinen.« Rishon lächelte. »Schalom, Leutnant.«
»Schalom, Major.«
Mit merkwürdig staksigen Schritten ging Rishon zu den anderen wartenden Arabern. Sie standen auf und schoben sich in die Menge, die sich über die Bretter der Allenby-Brücke tastete. Unter ihnen floß träge und lehmig der Jordan. Die Luft flimmerte. Es war zwölf Uhr neunundzwanzig, als sie auf jordanischer Seite standen und von jordanischen Soldaten zu einem Omnibus geführt wurden. Sie schrien, schüttelten die Fäuste und verfluchten die Juden.
Eines der gefährlichsten Unternehmen dieses Krieges hatte begonnen.
Die Fahrt nach Amman verlief glatt, bis auf einen Zwischenfall: In dem klapprigen, alten, überladenen Bus, in dem die Flüchtlinge dicht nebeneinander hockten und auf dessen Dach das Gepäck, Kästen, Bündel und Teppichrollen, hoch aufgetürmt war, wurde ein Kind geboren.
Es war etwa auf der Hälfte des Weges, in der Wüste Gor, nahe dem Städtchen Es Salt, als eine junge Frau aufstöhnte und sich an den Leib griff.
»Macht Platz, Brüder!« rief ein junger Mann, der neben ihr hockte und sie festhielt. »Bei Allahs Güte, macht ein wenig Platz. Sie bekommt unser erstes Kind.« Er umarmte die Stöhnende, und die Menge rückte noch mehr zusammen, preßte sich aneinander und gab ein kleines Viereck an Boden frei. Dort saß die junge Frau. Ihr Mann hielt ihren Kopf fest, und zwei ältere Frauen knieten vor ihr.
»Anhalten!« schrie jemand aus der Menge. »Sag doch jemand dem Teufel, er soll anhalten!«
»Er hat seinen Fahrplan!« schrie ein Begleitsoldat zurück. »Er muß sofort wieder zurück zur Brücke! Glaubt ihr, ihr seid allein auf der Welt?«
»Oh!« schrie die junge Frau in ihren Schmerzen und krümmte sich. »Oh! Helft mir doch! Helft mir!« Sie schlug mit den nackten Fersen auf den Wagenboden und krallte die Finger in den Burnus ihres Mannes.
Die beiden älteren Frauen, fremd und Flüchtlinge wie alle im Bus, begannen den Leib der Schreienden zu drücken und zu kneten. Sie legten das junge Weib auf den Rücken und sagten dem werdenden Vater, er soll ihren Oberkörper niederdrücken.
»Das ist grauenhaft«, flüsterte einer der verkleideten Offiziere. »Das kann man anders machen!«
»Sie bleiben!« Major Rishon hielt ihn fest. Die fünf Araber bildeten im Hintergrund des Busses eine kleine Gruppe. Sie hatten bisher auf die Juden geschimpft und Rache geschworen für alle Verluste, die der Krieg ihnen gebracht hatte. Jetzt waren sie still wie alle im Wagen und sahen auf die gebärende Frau.
»Sie wird sterben«, flüsterte der Offizier. Er war älter als Rishon und hatte in Haifa eine Frau und drei Kinder.
»Haben Sie noch nie eine Tote gesehen?« Rishon wandte sich ab und sah aus dem Fenster. »Sie fahren nicht nach Amman, um Geburtshelfer zu spielen!«
Auf dem Boden des Autos krümmte sich die junge Frau. Sie schrie nicht mehr … aus ihrem Mund gurgelte es nur noch, und während die älteren Frauen drückten und rieben, klopften und preßten, lag ihr Mann über ihrem Oberkörper und liebkoste ihr schweißnasses, verzerrtes Gesicht, rief ihren Namen und hielt ihre Arme fest, die um sich schlagen wollten.
»Es kommt!« rief eine der Frauen. »Allah sei Dank – es kommt …«
Mit unverminderter Geschwindigkeit fuhr der Wagen weiter, die Wüste staubte und die Sonne glühte auf das Dach.
Plötzlich hörte das Stöhnen und Gurgeln auf. Die der Gebärenden am nächsten saßen, klatschten in die Hände. Es herrschte Fröhlichkeit, jeder im Bus lachte und stieß seinen Nachbarn an, und alle freuten sich.
»Ein Sohn!« rief der junge Vater. Er hielt sein noch blutiges, tropfendes Kind hoch, als kaum die Nabelschnur mit einem Taschenmesser durchtrennt worden war und die Frauen die Nabelenden mit
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