Das Mädchen Ariela
ein Stück Kuchen und zielte damit auf Schumanns Kopf. »Nimm das mit dem großen Maul zurück.«
»Stimmt ja, Leutnant Golan!« Schumann beugte sich vor. »Haben Sie auch gebrüllt, Leutnant?«
»Wenn es nötig, wenn es nützlich war, ja.«
»Wann wäre Brüllen jemals nützlich?«
»Bei ›Stillgestanden‹!«
»Warum muß man stillstehen?«
»O Gott! So kann nur ein schrecklicher Zivilist fragen!«
»Nicht schrecklich, nur neugierig: Warum muß man stillstehen?«
»Es geht doch nicht, daß alle herumstehen, wie sie wollen, wenn jemand die Front abschreitet!«
»Warum wird eine Front abgeschritten?«
»Das gehört zum Exerzieren.«
»Warum wird exerziert?«
»Damit alles klappt!«
»Was klappt? Das Töten etwa?«
»Du bist wieder schrecklich. Wo wären wir jetzt, wenn Israel nicht eine so gute und gut gerüstete Armee gehabt hätte? Zweieinhalb Millionen Menschen lägen jetzt verblutet in der Sonne. Das Meer vor unserer Küste wäre rot vom Blut!«
Schumann schwieg. Darauf gab es keine Antwort. Das Problem der Waffenlosigkeit war nicht zu lösen. Solange es irgendwo auf der Welt auch nur einen einzigen Soldaten gab, war aller Frieden Illusion. Und wie groß, wie gegensätzlich war diese Welt!
Am Nachmittag des Tages, als jordanische Infanterie die Wache vor und in der weißen Villa auf dem Dschebel El Luweibida übernahm, rollte ein alter, klappriger Lastwagen den Bergweg hinauf und hielt vor dem großen Tor in der Mauer. Er hatte Sträucher und Bäume geladen, und zwei schmutzige Kerle saßen vorn im Führerhaus, während zwei ebenso dreckige, zerlumpte Wesen neben den Sträuchern auf der Plattform des Wagens hockten.
Vor der Mauer hielt das Gefährt, und der Fahrer hupte energisch.
»Genug!« sagte Major Rishon zu Hauptmann Haphet, der den Lastwagen lenkte. »Es wird Krach genug geben.« Er beugte sich aus dem Fenster und sah zu den zwei zerlumpten Individuen.
»Alles klar?«
»Alles, Major.« Die israelischen Offiziere grinsten. Sie hatten sich tagelang nicht rasiert, sie sahen wild und verkommen aus.
Das Tor öffnete sich. Ein Feldwebel, der gerade die Wache befehligte, kam auf die Straße heraus.
»Mach auf, du Sohn einer Laus!« schrie Hauptmann Haphet im schönsten Arabisch. »Hier kommen Bäume! Sollen Sie verdorren wie dein Gehirn? Sie müssen in die Erde und begossen werden! Mach das Tor auf!«
Der Feldwebel trat an den Wagen heran, musterte die vier Kerle und stellte fest, daß sie stanken. Er sah auf die Bäume und Sträucher und wunderte sich, daß ihm keiner etwas davon gesagt hatte, daß heute die Gärtner kämen und Bäume pflanzten.
»Ihr seid nicht angemeldet!« sagte der Feldwebel und trat zurück. Er war ein feiner Mensch, der seine saubere Uniform liebte und froh war, Soldat zu sein und kein stinkender Bauer wie diese vier auf dem Auto.
»Angemeldet?« schrie Rishon über Hauptmann Haphet hinweg. »Der große Suleiman hat die Bäume bestellt. Sollen wir sie ihm trocken vors Fenster legen, du Hohlkopf? Wertvolle Sträucher sind darunter. Blumenbüsche aus China. Blüten aus der Südsee! Aber wie du willst, Freundchen … wir laden hier ab.« Rishon kletterte aus dem alten Wagen und pfiff auf den Fingern. »Runter, Freunde! Abladen! Suleiman wird sich freuen!«
Der Feldwebel war einen Augenblick in einem großen Zwiespalt. Dann entschloß er sich, Logik vor Befehl zu stellen, was einem Soldaten noch nie gut bekommen ist. Bäume müssen gepflanzt werden, dachte er scharfsinnig. Wenn Suleiman Bäume bestellt, nimmt er an, daß ich weiß, daß Bäume nicht staatsgefährdend sind. Es kommen zwar vier Gärtner mit, aber wer sie ansieht, weiß, daß sie harmlos sind. Arme, dumme Ochsen, die sich für ein paar Piaster die Lunge aus dem Hals schuften.
»Fahrt 'rein!« sagte der Feldwebel. Er setzte eine Trillerpfeife an die Lippen und pfiff. Aus dem Tor rannten sechs Soldaten mit Schnellfeuergewehren, sahen den klapprigen Wagen mit den Bäumen, grinsten und schoben das große Tor auf.
Rishon atmete auf. Er setzte sich wieder neben Hauptmann Haphet und trat ihn gegen das Schienbein.
Der Lastwagen ratterte in den Innenhof. Dort hielt er, die vier verwahrlosten Gestalten stiegen aus und sahen zu, wie sich das Tor hinter ihnen schloß und vier Soldaten sich daneben in den Schatten setzten.
Rishon blickte sich um. Dort hinten beginnen die Gärten, dachte er. Zu ihnen gehen die großen Fenster, Balkons und Terrassen hinaus. Und hinter einem Fenster wird Ariela stehen und ihnen
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