Das Mädchen auf den Klippen - Riley, L: Mädchen auf den Klippen - Girl on the Cliff
wenigstens versuchen.« Kathleen half Grania beim Ausziehen und setzte sich auf die Bettkante wie früher, um ihrer Tochter über die Stirn zu streichen. »Wenn du was brauchst: Ich bin unten.« Als sie sich erhob, fielen Grania bereits die Augen zu.
Zwei Stunden später tauchte Grania wieder in der Küche auf.
»Wie lang hab ich geschlafen? Es wird schon dunkel.«
»So lange wie nötig«, antwortete Kathleen. »Ich habe mit Jennifer ausgemacht, dass Aurora bei ihr übernachtet. Dein Vater hat vor einer halben Stunde eine Tasche mit den Sachen, die sie braucht, rübergebracht und ist mit deinem Bruder im Pub. Du musst dir also keine Gedanken machen, dass uns jemand stört.«
»Danke, Mam.« Grania setzte sich an den Tisch.
»Ich hab Lammfleischeintopf gekocht, den magst du doch so gern. Du hast bestimmt seit deiner Abreise nichts Ordentliches mehr gegessen.«
Grania bedankte sich noch einmal, als Kathleen ihre eine Schale mit Eintopf gab.
»Iss. Herzschmerz und ein leerer Magen, das passt nicht zusammen.«
»Ach, Mam …«
»Iss, Grania, und red nicht.«
Grania führte einen Löffel nach dem anderen zum Mund. Nach einer Weile schob sie die Schale weg. »Ich kann nicht mehr.«
»Wenigstens hast du jetzt ein bisschen Farbe.« Kathleen stellte die Schale in die Spüle. »Grania, du weißt, dass ich dir zuhöre, wenn du so weit bist.«
»Keine Ahnung, wo ich anfangen soll.«
»Ich hab mir inzwischen selber einen Reim auf die Geschichte gemacht. Letzte Woche, als Alexander bei uns war, hat er sehr schlecht ausgesehen. Mir war klar, dass was nicht stimmt. Er wusste sicher schon lange von seiner Krankheit.«
»Ja. Als die Ärzte rausgefunden hatten, was los war, konnten sie nicht mehr operieren, weil der Tumor ziemlich groß war und ungünstig lag. Seine letzte Chance war die Chemotherapie. Doch die hat nichts genutzt.«
»O Gott.«
»Vor ein paar Wochen ist ihm klar geworden, dass er sich in sein Schicksal fügen muss, und er hat angefangen, die Zukunft für Aurora zu planen. Ich …«
»Lass dir Zeit, Liebes.« Kathleen setzte sich wieder neben sie und legte ihre Hand auf Granias.
Stockend erzählte Grania ihrer Mutter die ganze Geschichte. Kathleen lauschte schweigend.
»Sein Anwalt Hans wird mir in den nächsten zwei Wochen seine Asche bringen. Er wollte, dass sie über Lilys Grab ausgestreut wird.« Grania stieß einen tiefen Seufzer aus. »Mam, es war grässlich, ihm beim Sterben zuzusehen.«
»Nach allem, was du sagst, scheint es eine Erlösung für ihn gewesen zu sein.«
»Ja, er hatte furchtbare Schmerzen. Gott sei Dank hast du mir Lilys Geschichte vor meiner Abreise in die Schweiz erzählt. So konnte ich Alexander schildern, was der jungen Lily damals zugestoßen ist. Das hat ihm geholfen. Alexander hat sie sehr geliebt.«
»Hoffentlich sind sie jetzt im Jenseits zusammen und wissen, dass ihre Tochter bei uns gut aufgehoben ist.«
Grania schüttelte verzweifelt den Kopf. »Wie soll ich ihr das bloß erklären?«
»Darauf weiß ich auch keine Antwort. Ich finde es schrecklich, dass ihr Vater das dir überlassen hat.«
»Wenn du ihn gesehen hättest … er war wie ein Gespenst. Er hätte Aurora so gern ein letztes Mal bei sich gehabt, ahnte jedoch, dass das alles für sie nur noch schlimmer machen würde. Alexander wollte, dass Aurora ihn so wie früher in Erinnerung behält. Wir wissen, wie labil Aurora nach dem Tod ihrer Mutter war. Ich glaube, er hat das Richtige getan.«
»Hast du eine Ahnung, was du ihr sagen wirst?«
»Hast du irgendwelche Vorschläge, Mam?«
»Du solltest nicht lügen. Sag die Wahrheit, so sanft wie möglich.«
»Ja, aber sie darf nicht erfahren, wie er leiden musste.«
»Er hat dir eine schwere Last aufgebürdet. Du kannst sicher sein, dass wir ihr beistehen und ihr so viel Liebe schenken, wie wir können. Aurora wird bei uns ein Zuhause haben, egal, welche Entscheidungen du über deine Zukunft triffst.«
»Danke, Mam. Genau das hat Alexander beschäftigt; er wollte nicht, dass die Adoption meine Pläne für die Zukunft beeinflusst.«
»Ich bin ganz seiner Meinung.«
Grania seufzte. »Ich bezweifle, dass ich in nächster Zeit irgendwo anders hingehen werde. Ich wüsste nicht, wohin.« Sie zuckte mit den Achseln. Wenig später stand sie vom Tisch auf. »Mam, ich bin furchtbar müde. Wenn ich es Aurora morgen erklären soll, muss ich noch eine Runde schlafen.«
»Ja.« Kathleen nahm ihre Tochter in den Arm. »Schlaf gut und träum was Schönes, Liebes. Ich bin
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