Das Mädchen auf den Klippen - Riley, L: Mädchen auf den Klippen - Girl on the Cliff
Mädel«, lautete Bridgets Urteil. »Wird Zeit, dass du heiratest, mein Junge.«
Nach anderthalb Jahren machte Sean ihr einen Heiratsantrag, und der Hochzeitstermin wurde für ein Jahr später festgelegt.
»Deine Mammy und ich haben uns über die Zukunft unterhalten«, sagte Seans Vater Michael einige Tage später nach ein paar Gläsern Kartoffelschnaps. »Unser Haus ist alt und feucht und klein. Wir sollten daran denken, ein neues zu bauen. Auf der anderen Seite der Scheune wäre ein guter Platz dafür. Deine Mutter und ich, wir sind zu alt zum Umziehen, aber wir müssen für dich und Mary, die Kinder, die eines Tages kommen werden, und für die Enkel planen.« Michael zeigte Sean eine Skizze. »Was hältst du davon?«
Sean begutachtete die Zeichnung – eine große Küche, ein Wohn- und Esszimmer und eine Innentoilette. Dazu vier Räume im ersten Stock und ein Speicher, den man in Wohnraum verwandeln konnte, wenn die Familie größer wurde. »Woher sollen wir das Geld dafür nehmen?«, erkundigte sich Sean.
»Mach dir darüber mal keine Gedanken, Sohn, ich hab was weggelegt. Und die Arbeitskraft kostet uns nichts. Wir bauen das Haus mit unseren eigenen Händen!«
»Das viele Geld und die Arbeit, und dann gehört es nicht mal uns«, wandte Sean ein. »Wir sind nur Pächter der Lisles.«
Michael nahm einen Schluck Kartoffelschnaps und nickte. »Ja, im Moment ist das so. Aber in den nächsten Jahren ändert sich was in Irland. Die Nationalisten werden von Tag zu Tag stärker, und die britische Regierung beginnt zuzuhören. Eines Tages werden die Ryans auf ihrem eigenen Grund und Boden stehen. Wir müssen an die Zukunft denken, nicht an die Vergangenheit. Wie findest du meine Idee?«
Als Sean Mary vom Vorhaben seines Vaters erzählte, klatschte sie vor Begeisterung in die Hände.
»Sean, eine Toilette im Haus! Und ein neues Zuhause für uns und unsere Kinder. Wann können wir anfangen?«
»Bald. Die Jungs aus der Gegend helfen mir.«
»Aber was wird aus unseren Plänen?«, fragte Mary. »Aus unserer Idee, die Welt zu sehen, nach Amerika zu gehen?«
»Ich weiß, ich weiß.« Sean legte seine Hand auf die ihre. »Die vergessen wir nicht. Trotzdem brauchen die Ryans ein ordentliches Dach über dem Kopf.«
»Wir hatten uns doch fest vorgenommen, hier wegzugehen«, erwiderte Mary.
»Alles zu seiner Zeit.«
Also legten sie mit Erlaubnis von Sebastian Lisle den Grundstein und zogen die ersten Mauern hoch. Mary ging oft daran vorbei und betrachtete sie voller Ehrfurcht.
»Mein Haus«, flüsterte sie ungläubig.
Sean arbeitete jede freie Minute daran, und je mehr es Form annahm, desto weniger redeten sie über Amerika. Jetzt drehten sich ihre Gespräche eher um die Möbel, die Sean in seiner Werkstatt schreinern wollte, und um die Gäste, die sie einladen würden, sobald sie verheiratet wären.
Da Mary keine eigene Familie hatte, wurde sie quasi von der Seans adoptiert. Sie half seiner jüngeren Schwester Coleen beim Schreiben und seiner Mutter beim Backen und lernte von seinem Vater, wie man die Kühe molk.
Obwohl die Familie nicht reich war, brachten ihr die vierzig Hektar Grund ein regelmäßiges Einkommen. Dazu kamen Milch, Eier, Fleisch und Wolle von den Schafen. Michael und Sean arbeiteten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
An den Mienen der Leute aus der Gegend, denen Mary vorgestellt wurde, sah sie, dass sie einen guten Fang gemacht hatte.
Und jetzt, dachte Mary, als sie die Tränen mit ihrem Tuch wegwischte, würde sie alles verlieren. Sean mochte glauben, dass er gesund und munter zu ihr zurückkehren würde, aber was, wenn nicht?
Mary seufzte. Sie hätte ahnen müssen, dass alles zu schön war, um wahr zu sein. Sie hatte bereits bei den Lisles gekündigt, um sich auf die Hochzeit vorbereiten zu können, und ihr Dienst würde im folgenden Monat enden. Unter den gegebenen Umständen fragte Mary sich, ob das die richtige Entscheidung gewesen war. Wenn sie bei den Ryans einzog und wartete, bis Sean aus dem Krieg zurückkam, hatte sie weder Unabhängigkeit noch eigenes Geld. Und wenn Sean nicht zurückkehrte, konnte es sein, dass sie als alte Jungfer unter dem Dach ihres toten Verlobten endete.
Mary blickte in Richtung Dunworley House. Die Haushälterin Mrs. O’Flannery konnte sie zwar nicht sonderlich leiden, schätzte aber ihren Fleiß und hatte bestürzt auf ihre Kündigung reagiert. Auch Sebastian Lisle und seine Mutter hatten ihr Bedauern ausgedrückt.
Mary ging über die Klippen zurück
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