Das Mädchen auf den Klippen - Riley, L: Mädchen auf den Klippen - Girl on the Cliff
dir und Anna vielleicht helfen. Vorausgesetzt, du heiratest mich.«
»Nach allem, was du jetzt weißt?«, fragte Mary erstaunt.
»Ja, Mary.«
21
Drei Monate später wurde Mary Swan, Waise unbekannter Herkunft, Mrs. Jeremy Langdon und Herrin eines großen Hauses in Kensington. Die einzige andere Anwesende bei der Trauung war die zehnjährige Anna Swan.
Im folgenden Jahr ereigneten sich mehrere Dinge, die Mary den Glauben an Gott zurückgaben. Sie wurde schwanger, und Jeremy fand über geheime Kanäle heraus, dass Lawrence Lisle neun Monate zuvor in Bangkok an Malaria gestorben war. Elizabeth Lisle hatte kurz darauf eine Fehlgeburt erlitten, sich jedoch sofort einen neuen Ehemann gesucht und diesen nach Schanghai begleitet, wohin er versetzt worden war.
»Ist d-dir klar, was das bedeutet, Mary? Das heißt, dass du frei b-bist. Lawrence Lisle kann dir nichts mehr anhaben. Und Elizabeth Lisle interessiert sich sowieso nicht für d-dich und Anna.«
Mary bekreuzigte sich aus Erleichterung über Lawrence Lisles Tod. »Traurig, aber es wäre eine Lüge zu behaupten, dass ich mich nicht freue. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich je wieder in der Lage sein werde, unbekümmert zu sein.«
»Wo er jetzt ist, stellt er keine G-Gefahr mehr dar. Ich werde mich erkundigen, wie wir Anna adoptieren k-können.«
»Sie hat keine Geburtsurkunde und nicht einmal einen Familiennamen.«
»Überlass d-das mir, Liebes. Das Innenministerium ist Hauptmann Jeremy Langdon noch was schuldig. Ein Mann verdankt m-mir sein Leben.« Er tätschelte Marys Hand und legte sie dann auf ihren kleinen, schon deutlich rundlichen Bauch.
Sechs Wochen vor der Geburt ihres Kindes unterzeichneten Mary und Jeremy die Adoptionspapiere für Anna.
»Jetzt kann sie uns niemand mehr wegnehmen«, flüsterte Jeremy Mary ins Ohr.
Mary sah mit Tränen in den Augen, wie Anna mit ihrer Adoptionsurkunde um den Küchentisch tanzte.
»Anna Langdon«, jauchzte sie und umarmte ihre Eltern.
Das Baby kam zehn Tage zu spät, ansonsten jedoch ohne Komplikationen zur Welt. Mary lag im Schlafzimmer, das Kleine an der Brust, Ehemann und frisch adoptierte Tochter bei sich. Fast hätte sie sich in ihrem Glück gewünscht, dass die Zeit stillstehen möge. Annas pausbäckiges Schwesterchen Sophia – benannt nach Marys Lieblingsheiliger – war ein ruhiges und zufriedenes Kind. Mary beobachtete voller Freude, wie Jeremy seine Tochter vorsichtig auf den Arm nahm.
Er stotterte nicht mehr so stark, und auch die schrecklichen Albträume wurden weniger. Mary, die inzwischen alles über Granatenschock gelesen hatte, wusste, dass die Symptome kaum jemals ganz verschwanden, aber durch ein ruhiges, friedliches Leben halbwegs in den Griff zu bekommen waren. Jeremy verließ, abgesehen von Ausflügen durch Kensington Gardens, um die Times zu erwerben, das Haus so gut wie nie; wenn sie tatsächlich einmal eine belebte Londoner Straße entlanggingen, zuckte er bei jedem Hupen zusammen. Hinterher waren auch das Stottern und das Zittern seiner Hände ausgeprägter. Doch das störte Mary nicht. Solange ihre Familie sich wohlfühlte, war auch sie zufrieden.
Jeremy, der zu malen anfing, entpuppte sich als erstaunlich begabter Künstler. Wenn Mary die dunklen Schützengräben auf seinen Bildern, die Darstellung seiner inneren Qualen, betrachtete, bekam sie eine Gänsehaut.
Während Jeremy malte, kümmerte Mary sich um Sophia. An sonnigen Nachmittagen ging sie mit Anna und Sophia in den Park oder machte mit ihnen einen Schaufensterbummel am Piccadilly Circus. Es erstaunte Mary noch immer, dass sie für Anna kaufen konnte, was diese sich aussuchte, ohne ans Geld denken zu müssen. Sie war die Frau eines vermögenden Mannes.
Im Lauf der Jahre lernte Sophia zu krabbeln, zu laufen und schließlich durchs Haus zu rennen. Und Annas Wunsch, Ballerina zu werden, wurde immer stärker. Eines Abends, Sophia war gerade vier geworden, betrat die fünfzehnjährige Anna, deren Körper allmählich weibliche Formen annahm, die Küche, in der Mary das Abendessen zubereitete.
»Hast du gehört? Ninette de Valois hat eine B-Ballettschule eröffnet«, teilte sie ihr mit.
»Nein, Anna.«
»D-Darf ich ihr vortanzen? Dann komme ich vielleicht eines Tages in ihre C-Companie und tanze im Sadler’s Wells. Kannst d-du dir das vorstellen?« Anna sank seufzend in einen Sessel.
»Ich dachte, du willst zu Diaghilews Ballets Russes?«
»Ja, aber es wäre doch viel schöner, zur ersten b-britischen Balletttruppe zu
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