Das Mädchen aus dem All
seine Tochter, Tschara mit einem kleinen Lat, einem flachen Gleitboot, zur Insel des Vergessens überzusetzen. Die beiden Mädchen genossen die schnelle Fahrt auf dem bewegten offenen Meer. Der Lat steuerte auf eine große Bucht am Ostufer der Insel des Vergessens zu, wo sich eine der medizinischen Stationen der Großen Welt befand.
Kokospalmen säumten das Ufer, ihre gefiederten Blätter berührten fast die Wasserfläche. Die Station war menschenleer. Alle Mitarbeiter hatten sich aufgemacht, um die Zecken vernichten zu helfen, die man bei den Nagetieren des Waldes gefunden hatte.
Neben der Station befanden sich Pferdeställe. Pferde wurden noch überall dort gehalten, wo Flugschrauber wegen ihres Lärms störten und Elektrofahrzeuge nicht benutzt werden konnten, weil es keine Wege gab. Nachdem Tschara sich ausgeruht hatte, zog sie sich um und ging in den Stall, um sich die seltenen schönen Tiere anzusehen. Dort traf sie eine Frau, die die automatischen Fütterungs- und Säuberungsanlagen bediente. Tschara bot ihre Hilfe an und kam mit ihr ins Gespräch. Sie erkundigte sich, wie man auf der Insel jemand schnell finden könne, und erhielt den Rat, sich einem der Schädlingsbekämpfungstrupps anzuschließen. Da sie die ganze Insel durchkämmten, kannten sie sich besser aus als die Einheimischen.
Die Insel des Vergessens
Das Gleitboot überquerte die Palkstraße bei starkem Gegenwind. Vor knapp tausend Jahren hatte hier noch eine Kette von Sandbänken und Korallenriffen zum Festland geführt, die Adamsbrücke genannt wurde. In jüngster Zeit war durch geologische Veränderungen eine tiefe Rinne entstanden. Dunkel lag das Wasser über diesem Abgrund, der die rastlose Menschheit von den Ruhesuchenden trennte.
Mit gespreizten Beinen stand Mwen Mass an der Reling und schaute unverwandt auf die sich am Horizont abzeichnende Insel des Vergessens. Sie war ein Naturparadies mitten in dem warmen Ozean, ein Zufluchtsort für diejenigen, die die angepannte Aktivität der Großen Welt nicht mehr in ihren Bann zog, die nicht mehr so wie alle anderen arbeiten wollten.
Hier verbrachten sie ruhige Jahre bei der einfachen monotonen Arbeit früherer Zeiten: bei Ackerbau, Fischfang und Viehzucht.
Obgleich die Menschheit ihren schwachen Brüdern ein großes Stück fruchtbarer Erde überlassen hatte, konnte die primitive Wirtschaftsweise der Insel die Ernährung nicht vollauf sichern, schon gar nicht, wenn eine Mißernte eintrat. Deshalb gab die Große Welt ständig einen Teil ihrer Vorräte an die Insel des Vergessens ab.
In die drei Häfen, im Norden, im Süden und Osten der Insel, wurden konservierte Lebensmittel, Medikamente, biologische Abwehrmittel und andere lebensnotwendige Dinge gebracht. Die drei Verwalter der Insel lebten ebenfalls im Norden, im Osten und im Süden und nannten sich Leiter für Viehzucht, Ackerbau und Fischfang.
Beim Anblick der blauen Berge in der Ferne überkam Mwen Mass plötzlich das bittere Gefühl, er gehöre vielleicht zur Kategorie der »Stiere«, zu den Menschen, die aller Welt immer nur Schwierigkeiten bereiteten. Ein »Stier« ist ein starker und energischer, aber egoistischer Mensch, dem das Leid und die Gefühle anderer gleichgültig sind. Solche Menschen haben in ferner Vergangenheit Leid und Unglück über die Menschheit gebracht, weil sie ihre Ansichten als alleinige Wahrheit proklamierten und sich berechtigt fühlten, alle anderen Meinungen zu unterdrücken, jede andere Denk- und Lebensweise auszurotten. Seitdem beugt die Menschheit solchen Totalitätsansprüchen schon beim geringsten Anzeichen vor und begegnet den »Stieren« mit besonderem Mißtrauen. Diese Egoisten denken nicht an die unverletzlichen ökonomischen Gesetze, nicht an die Zukunft, sie leben nur dem Augenblick.
Auch er, Leiter der Außenstationen, hatte, nach knapp zwei Jahren verantwortungsvoller Tätigkeit, einen künstlichen Satelliten vernichtet, der durch die Anstrengungen Tausender Menschen und mit Hilfe größter technischer Raffinessen gebaut worden war. Vier befähigte Wissenschaftler waren umgekommen, von denen jeder ein Physiker wie Ren Boos hätte werden können. Ren Boos selbst war nur mit Mühe gerettet worden. In Gedanken sah der Afrikaner Bet Lon, der sich irgendwo auf der Insel des Vergessens verkrochen hatte. Vor der Abreise hatte er sich Aufnahmen von dem Mathematiker angesehen. Das energische Gesicht mit den kräftigen Kiefern und den dicht beieinanderliegenden, stechenden Augen hatte sich ihm
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