Das Mädchen aus dem All
Wüste Atacama.«
»Gewiß, Sie haben recht, Tschara, aber nur teilweise. Bedenken Sie die Einsamkeit und die quälerischen Selbstvorwürfe eines starken, leidenschaftlichen Menschen, der plötzlich jeden Halt verloren hat, da er außerhalb unserer Gemeinschaft lebt. Ich würde selbst hinfahren, aber ich muß mich in erster Linie um den noch immer sehr kranken Ren Boos kümmern. Man hat Dar Weter dazu bestimmt, einen neuen Satelliten aufzubauen, auch das bedeutet Hilfe für Mwen Mass. Doch ich rate Ihnen mit allem Nachdruck: Fahren Sie zu ihm, fordern Sie nichts von ihm — keine Zukunftspläne, keine Liebe. Zerstreuen Sie seine Zweifel, und kehren Sie dann beide in unsere Welt zurück. Sie haben die Kraft dazu, Tschara! Fahren Sie?«
Das Mädchen sah Ewda Nal kindlich vertrauensvoll an.
»Noch heute!« sagte sie ohne Zögern.
Die Ärztin küßte sie auf die Wange.
»Je eher, desto besser. Bis Kleinasien fahren wir zusammen auf der Spiralstrecke, denn Ren Boos liegt in einem chirurgischen Sanatorium auf Rhodos. Sie schicke ich dann nach Dejr es Sor, zu dem Stützpunkt für Flugschiffe des medizinisch-technischen Dienstes, die die Routen nach Australien und Neuseeland befliegen. Dem Piloten wird es ein Vergnügen sein, die Tänzerin Tschara an jeden gewünschten Ort zu bringen.«
Der Zugführer lud Ewda Nal und ihre Begleiterin in die Steuerzentrale ein. Über die riesigen Wagen hinweg führte ein silikollüberdachter Gang, durch den die Diensthabenden ungehindert von einem Ende des Zuges zum anderen gelangen konnten, um die Geräte zu überwachen. Die beiden Frauen stiegen eine Wendeltreppe hinauf, gingen durch den oberen Gang und traten in eine große Kabine über dem stromlinienförmigen ersten Wagen. In dieser Kabine saßen, sieben Meter über dem Bahndamm, zwei Maschinisten, zwischen ihnen befand sich die hohe Pyramide der elektronischen Steuerungsautomatik. Mit Hilfe der parabolischen Bildschirme konnten sie alles sehen, was sich neben und hinter dem Zug ereignete. Die Antennenfühler der Warnanlage auf dem Dach zeigten eine Gefahrenquelle bereits fünfzig Kilometer vorher an.
Ewda und Tschara setzten sich auf die weiche Bank an der Rückwand der Kabine. Die gigantische Strecke führte durch Gebirge, über mächtige Dämme, durch Niederungen, über Meerengen und Meeresbuchten. Bei der Geschwindigkeit von zweihundert Kilometern in der Stunde glich der Wald an den Abhängen und zu beiden Seiten der Dämme einem dichten rötlichen, malachitfarbenen oder dunkelgrünen Teppich.
Die beiden Frauen hingen ihren Gedankennach. So vergingen vier Stunden. Die restlichen vier Stunden verbrachten sie in den weichen Sesseln des Salons der zweiten Etage. Auf einer Station unweit der Westküste Kleinasiens trennten sie sich. Ewda stieg in einen Elektrobus um, der sie zum nächsten Hafen brachte, Tschara fuhr weiter bis zur Station Ost-Taurus auf dem ersten Meridian-Zweig. Noch zwei Stunden Fahrt, und Tschara befand sich in dem trockenen, heißen Flachland. Hier, am Rande der früheren Syrischen Wüste, lag Dejr es Sor, Start- und Landeplatz der Flugschiffe.
Für immer prägten sich Tschara Nandi die qualvollen Stunden ein, in denen sie in Dejr es Sor auf das nächste Flugschiff wartete. Unentwegt überlegte das Mädchen, wie sie sich Mwen Mass gegenüber verhalten sollte, versuchte, sich das Wiedersehen mit ihm auszumalen, und schmiedete Pläne für die Nachforschungen auf der Insel des Vergessens, wo alles im ewigen Gleichlauf der Tage unterging.
Endlich zeigten sich am Boden die endlosen Felder der Thermoelemente in den Wüsten Nefud und Rub-el-Chali. Diese gewaltigen Kraftwerke wandelten Sonnenwärme in Elektroenergie um. Durch Vorhänge gegen Nachtfeuchtigkeit und Staub geschützt, standen sie in regemäßigen Reihen auf den befestigten, geebneten Wanderdünen. Seitdem die Menschen die Kernenergien P, Q und F nutzen gelernt hatten, war die Zeit strenger Bewirtschaftung vorüber. Längs der Südküste der arabischen Halbinsel standen viele Windkraftmaschinen still; auch sie bildeten eine Reserve des nördlichen Wohngürtels. Im Nu hatte das Flugschiff den kaum sichtbaren Uferstreifen überflogen und jagte über dem Indischen Ozean dahin. Fünftausend Kilometer waren für diese schnelle Maschine eine geringe Entfernung. Bald schon kletterte Tschara Nandi — noch etwas unsicher auf den Beinen — aus dem Flugschiff; zum Abschied wünschte man ihr eine schnelle Rückkehr.
Der Leiter des Landeplatzes beauftragte
Weitere Kostenlose Bücher