Das Mädchen aus dem Meer: Roman
mehr damit gerechnet, sodass längst böse Scherze und Gehässigkeiten bezüglich der Potenz meines Vaters und der Fruchtbarkeit meiner Mutter im Volk kursierten. Und wenn es sich unbeobachtet fühlte, sogar unter dem Personal.
Es war nicht so, dass er plötzlich singend über die Flure tanzte. Doch in den Monaten vor der Geburt meiner Schwester zeigte er sich deutlich umgänglicher als zuvor. Einmal, als die Näherin ihm eine zu enge Hose anfertigte, lachte er sogar über dieses Ungeschick und erkundigte sich, ob ihr weiblicher Sinn für Ästhetik sie wohl zu der Annahme verleitete, dass er anfangen sollte, Sport zu treiben. Normalerweise hätte er sie dafür zumindest auspeitschen lassen, vielleicht sogar aus dem Schloss geworfen, je nach Tagesform. Jetzt aber war er zumeist regelrecht entspannt und ließ sich außerdem nicht nehmen, die Neuausstattung des Zimmers, das dem neuen Baby bestimmt war, höchstpersönlich zu beaufsichtigen.
»Ehe ihr zu eifersüchteln beginnt: Das hat er bei euch nicht anders gemacht«, flüsterte meine Mutter meinem Bruder und mir von hinten ins Ohr, während wir unseren Vater vom Gang aus beim Beobachten beobachteten und aus dem Staunen kaum noch herauskamen, weil er an der Arbeit der Ausstatter einfach nichts auszusetzen fand.
Ich erschrak und drehte mich zu ihr um. Ich hatte sie nicht kommen hören, denn auch mit der gigantischen Kugel, die sie inzwischen vor sich her trug, bewegte sie sich noch immer elegant wie eine Katze, und vor allem fast genauso lautlos.
»Er hat für uns das Meckern gelassen?«, erkundigte ich mich verwirrt.
»Er hat eure Zimmer persönlich mit eingerichtet«, lachte meine Mutter, schob uns zwei auseinander und schritt zu meinem Vater hin, der, sobald er sie bemerkte, etwas tat, das ich wirklich noch nie gesehen hatte: Er herzte meine Mutter, ließ sich vor ihr auf ein Knie sinken und küsste ihren riesigen Bauch.
Gleichermaßen überrascht wie beschämt wechselten Sora und ich einen Blick. Eine so intime Geste hatten wir überhaupt noch nie beobachtet. Natürlich wussten wir, dass Babys nicht (wie man kleinen Kindern erzählt) aus Kokosnüssen schlüpften. Aber …
Was gibt es da zu lachen, Froh?
He – ich habe mir das nicht ausgedacht! Das erklärt man eben Kindern, die für die Wahrheit noch zu klein sind. Dafür kann ich nichts. Käme mir nie in den Sinn. Falls ich eines Tages Kinder habe, werde ich ihnen von Anfang an nur die Wahrheit erzählen. Über alles. Und allem voran natürlich übers Kinderkriegen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr einem solche dummen Geschichten den Appetit vermiesen können – selbst später, wenn man weiß, dass alles nur gelogen war, schmecken Kokosnüsse irgendwie immer noch nach Mutterkuchen …
Wie auch immer: Ich glaube, in diesem Moment sind wir beide rot angelaufen, wie Uppaketen in der Sonne.
Uppaketen?
Später, Froh. Dass du aber auch nie einfach zuhören kannst …
Sora und mir war der Anblick meines Vaters, der den Bauch meiner Mutter durch den Stoff ihres Kleides knutschte, also ganz schön peinlich, und als wäre das nicht schon schlimm genug, lachten die beiden uns im nächsten Moment aus. Richtig laut und schallend. Insbesondere, da ich meinen Vater noch nie so gelöst erlebt hatte, war ich regelrecht geschockt. Aber nur für einen Augenblick. Dann lachte ich einfach mit ihnen, und als ich Sora in die Seite knuffte, rang er sich zumindest ein aufgesetztes Grinsen ab.
Er war noch immer recht skeptisch, was unser neues Geschwisterchen anging. Mein Vater machte ohnehin keinen Hehl daraus, dass er ihn als Klotz am Bein empfand. Daran hatte sich nichts geändert, und ich denke, Sora hatte die Hoffnung, dass sich ihr Verhältnis je entspannen würde, längst aufgegeben. Aber er fürchtete wohl, dass sich bald auch meine Mutter nicht mehr für ihn interessieren würde, da ein Säugling sehr viel Zeit und Kraft erfordert, und beides hatte sie schon jetzt nicht im Überschuss, denn trotz des Kindes in ihrem Bauch unterstützte und entlastete sie meinen Vater, fleißig, pflicht- und verantwortungsbewusst, wie sie nun einmal war, wie und wo auch immer sie konnte.
Vor allem aber hatte er wohl Angst, dass ich mich von ihm, meinem schwachen, kranken Bruder ab- und dem neuen Kind viel mehr zuwenden könnte. Mir fiel ein, was er in dieser einen Nacht gesagt hatte, als er unter meine Decke gekrochen war: Versprich mir, dass du immer meine Schwester bleiben wirst …
Also zog ich ihn von meinen Eltern
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