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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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süßlich Duftendes mit riesengroßen Kulleraugen gewesen, das automatisch zu lutschen und zu schmatzen begann, sobald man ihm etwas in den Mund steckte. Dieses hingegen war blutverschmiert und mit schleimigem Zeug verklebt. Außerdem zog es etwas an der Nabelschnur, die wie ein widerlicher, sehr langer Knorpel aussah, hinter sich her, von dem ich eigentlich hätte wissen müssen, dass es die Nachgeburt war, was ich aber auf den ersten entsetzten Blick für ein zweites Baby hielt – nur noch viel blutiger und ganz schön kaputt.
    Mein Vater sah aus, als wollte er jeden Augenblick in Ohnmacht fallen, aber meine Mutter hörte nicht nur endlich auf zu schreien und zu klagen, sondern lächelte sogar und streckte schwach einen Arm nach dem glitschigen Säugling in Hommijrs Händen aus.
    »Es ist ein Mädchen«, sagte der Körpermeister ruhig, während er ihr meine nackte Schwester reichte, und verneigte sich dann vor meinem Vater. »Ich gratuliere, Rah Loro. Ihr habt eine zweite Tochter bekommen, und ich bin sicher, dass sich ein gesundes, hübsches Kind unter all der Schlacke da verbirgt.«
    Nie im Leben! Das hat er gesagt?
    Natürlich nicht. Aber was auch immer er da vor sich hinfloskelte, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Baby und meine Mutter richtete, klang für mich so. Ich war völlig durcheinander. Einerseits war ich natürlich froh und stolz und glücklich, dass alles überstanden war, aber andererseits …
    Na ja. Ich war ganz schön entsetzt und entschied, dass ich niemals Kinder bekommen würde, was ich mir erst anders überlegte, als ich mit Cocha in Silberfels lernte. Auch wenn ich das natürlich für mich behalten habe, weil ich noch heute eigentlich ein bisschen zu jung dafür bin, wie ich finde, aber …
    Pass auf. Was kurz darauf geschah, war wirklich, wirklich schlimm: Hommijr schnappte sich ein Tuch, tauchte es in warmes Wasser und wischte dem Baby damit das Gesicht sauber, und ich sah, dass es ein Loch im Gaumen hatte, was auch alle anderen im gleichen Moment bemerkten. Erschrocken schaute ich zu Sora hin und stellte fest, dass er gar nicht mehr da war. Er hatte sich davongeschlichen, ohne dass ich es gemerkt hatte. Später erklärte er mir, dass er die Schreie meiner Mutter nicht ausgehalten hatte.
    Ich war so entsetzt über den Anblick meiner nun halbwegs sauberen Schwester, dass ich mich kaum darüber ärgern konnte, dass er einfach gegangen war, obwohl ich mich ganz schön im Stich gelassen fühlte. Denn das Loch in ihrem Gaumen konnte ich nur sehen, weil auch ihr Oberkiefer kaputt war. Und ihre Oberlippe. Da war eine Spalte, die fast bis in ihren Rachen reichte, und ich konnte es ganz genau sehen, weil sie den Mund sehr weit aufsperrte, um zu gähnen.
    Mein Vater erstarrte und wurde noch blasser, was eigentlich kaum noch möglich war, und Hommijr wurde plötzlich sehr hektisch und nahm meiner Mutter das Baby wieder weg, um es auf einem Tisch voller Körperkundlerinstrumente abzulegen, mit denen er es sogleich zügig, aber sorgfältig untersuchte. Zu meiner Überraschung schenkte er dem Loch in ihrem Gaumen kaum Beachtung.
    »Das ist kein Problem«, beschwichtigte er, als mein Vater einen entsprechenden Hinweis brüllte. »Ich werde es nähen. In wenigen Wochen wird nichts mehr darauf hindeuten.«
    Ein Problem hingegen schien aus dem kupfernen Stethoskop zu ihm zu sprechen, das er ihr auf die winzige Brust presste, die sich, wie ich sah, nur schwach und unregelmäßig hob und senkte. Außerdem fiel mir auf, dass meine Schwester noch keinen einzigen Mucks von sich gegeben, geschweige denn geschrien hatte, seit sie auf der Welt war. Voller Sorge fragte ich mich, ob wohl auch ihre Stimmbänder gespalten waren. Aber selbst das wäre mir noch lieber gewesen als das, was ich, während ich Hommijr beobachtete, bereits zu befürchten begann und was unser Körperkundiger kurz darauf auch mit leisen, sehr besorgten Worten bestätigte: Sie hatte ein Problem mit dem Herzen. Es schlug nicht richtig.
    Und noch während meine Mutter einen Nervenzusammenbruch und mein Vater einen ausgewachsenen Tobsuchtsanfall erlitt, hörte ihr Herz ganz auf zu schlagen.
    Hommijr fluchte. Es war das erste Mal, dass ich ihn fluchen hörte. Und er rief nach Lammek, der sofort hereinstürmte und seinem Meister irgendwelche Instrumente und gläserne Kolben und Spritzen reichte, nach denen er hektisch verlangte, während er die Brust meiner Schwester immer wieder mit der flachen Hand nach unten presste und sie küsste, wie

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