Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
Vom Netzwerk:
sind ganz leise«, versprach ich und hüpfte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen.
    »Tut mir leid«, entschuldigte sich Lammek. Aber dann vergewisserte er sich mit einem raschen Blick, dass der Volksbote gerade intensiv mit der Betrachtung eines grünlichen Popels beschäftigt war, der an seinem kleinen Finger klebte, und dass auch sonst niemand so nah war, dass er uns hätte belauschen können, beugte sich zu mir herab und zischte mir ins Ohr: »Aber das rechte Südfenster steht einen Spalt offen. Und die Vorhänge sind auch nur zur Hälfte zugezogen.«
    Ich grinste, kniff ihm zum Dank in den Bauch und umrundete das Ruhehaus zur Hälfte, wobei ich Sora noch immer mitzog und die letzten Schritte, die durch eine schmale Passage zwischen Ruhehaus und Waffenlager führten, auf Zehenspitzen zurücklegte.
    Lammek hatte weder gelogen noch übertrieben: Das Fenster, hinter dem meine Mutter in diesen Sekunden schrie, dass mir heiß und kalt wurde, war wirklich nur angelehnt, und die blütenweißen Leinentücher, die vor neugierigen Blicken schützen sollten, waren gerade so weit zugezogen, dass man dazwischen hindurchspitzeln konnte, ohne selbst gesehen zu werden – zumindest, wenn man sich duckte, die Nase aufs äußere Fensterbrett presste und sich nach Möglichkeit nicht bewegte. Das machten wir dann auch.
    Im Ruheraum dahinter konnte von Ruhe nicht die Rede sein, auch nicht, als meine Mutter wieder zu schreien aufhörte. Es war das größte und beeindruckendste Zimmer dieses Gebäudes, schlicht, aber elegant eingerichtet und mit einem hübschen Mosaik ausgelegt, das zwei Vögel im Sonnenuntergang zeigte. Dafür war es aber auch das hellhörigste von allen. Die Schritte meines Vaters, der unruhig zwischen dem großen (und aus irgendeinem Grunde nassen) Bett meiner Mutter und einem gläsernen Schrank voller Kolben mit Säften und Tinkturen, metallisch blitzendem Körperkundlerkram und komplizierten, zum Teil leise surrenden Gerätschaften umherstreifte wie ein hungriger Tiger, hallten von den Wänden wider, und als er sprach, hörten wir seine Stimme zwar nicht gleich doppelt, aber doch ganz schön laut.
    »Gib ihr etwas gegen die Schmerzen«, verlangte er an Hommijr gewandt, der am Fußende des Bettes auf der Kante saß und meiner Mutter unter die ebenfalls klatschnassen Röcke blickte, was mir ganz schön peinlich war, ihr aber nichts auszumachen schien. Sie sah aus, als bekäme sie von allem, was um sie herum geschah, nicht viel mit. Ihre Haut war ganz weiß. Schweiß glitzerte auf ihrer Stirn und ihrem Nasenrücken, und sie hechelte wie ein Hund, der stundenlang neben galoppierenden Pferden hergelaufen war.
    »Es ist gleich geschafft«, versuchte Hommijr ihn zu beruhigen, während meine Mutter wieder zu schreien begann. »Jede Medizin könnte eurem Kind schaden, verehrter Faro. Und sie hat es schon zweimal durchgestanden. Sie ist eine starke Frau.«
    »Ich sagte: Gib ihr etwas gegen die Schmerzen!«, donnerte mein Vater ungehalten, und der Körpermeister zog den Kopf ein, wandte sich von meiner schreienden und sich windenden Mutter ab und kuschte sich zu dem gläsernen Schrank, aus dem er zielsicher eines der unbeschrifteten Glasgefäße nahm und die fürchterlich lange, goldene Nadel einer ebenfalls gläsernen Spritze in den Inhalt tauchte, um sie mit blauer Flüssigkeit zu befüllen. Mein Vater eilte derweil ans Bett meiner Mutter, riss ihre Röcke in die Höhe, um ebenfalls unverblümt darunter zu starren, und erbleichte.
    »Da ist ein Kopf«, sagte er.
    »Ja«, antwortete Hommijr, ohne sich zu ihm umzudrehen. Er konzentrierte sich darauf, eine Luftblase aus der Spritze zu drücken. »Der Kopf kommt immer zuerst.«
    »Ich sagte: Da ist ein Kopf!«, brüllte mein Vater, sprang auf und riss Hommijr an der Schulter zu sich herum. »Nun tu endlich etwas, du primitiver Simpel! Oder willst du, dass ich dich vierteilen lasse?«
    Der Körpermeister eilte mit der Spritze zu meiner Mutter zurück und legte sie auf einem kleinen Granittisch neben ihr ab, um beide Hände frei zu haben für das, was er als Nächstes tat: Er fasste meiner Mutter zwischen die Beine. Ich wollte gar nicht hinsehen, konnte mich aber nicht schnell genug abwenden, denn keinen Atemzug später zog er die Hände mit einem Ruck wieder hervor und …
    Na ja. Und hielt ein Köpfchen. Und natürlich auch den Rest von meiner kleinen Schwester. Mir wurde übel, denn ich hatte so etwas noch nie gesehen. Babys waren für mich immer etwas Kleines, Rosiges,

Weitere Kostenlose Bücher