Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
Vom Netzwerk:
ihm und seinem Glitzerwasser. Und mit den Rauchwaren. Es war sehr aufregend. Ich sah Farben, von denen ich mir in meinen wildesten Träumen nie hätte vorstellen können, dass es sie gab. Und gefiederte Stachelschweine mit viereckigen Augen. Und ich fühlte mich groß und stark und unverwundbar.«
    Ich maß ihn entsetzt.
    »Nie im Leben!«, flüsterte ich.
    »Doch«, beharrte Sora. »Das habe ich. Am Morgen danach fühlte ich mich jedes Mal hundeelend, aber das konnte mich nicht davon abhalten, es immer wieder zu tun. Ich war erst zehn Jahre alt, aber seit Ruggio da war, fühlte ich mich, als sei ich siebenundzwanzig. Bis Carthun uns erwischte.
    Vater jagte Ruggio noch in der Nacht mit Schimpf und Schande aus Hohenheim, nachdem er ihn unten in der Zelle hat auspeitschen lassen. Und mich schickte er am nächsten Tag ins Ruhehaus, wo Hommijr feststellte, dass mein Herz nicht wie erwünscht schlug. Dass es krank ist.
    Das ist der Grund, aus dem Vater mich damals verprügelt hat. Wäre es nur unser Ausbruch gewesen, hätte ich mir bestimmt auch eine Tracht Prügel eingefangen – aber nicht so heftig. Als ich am Boden lag und er immer wieder nach mir trat, da dachte ich für einen Moment sogar, dass er mich umbringen will. Ich glaube, er hat es nur nicht getan, weil er es nicht kann . Zumindest nicht, ohne der Öffentlichkeit hinterher Rede und Antwort um den Verbleib seines einzigen Sohnes zu stehen. Er hasst mich, seit er erkannt hat, dass ich niemals ein guter Faro wäre. Wie soll ein Mensch, der nicht einmal sich selbst verantworten kann, für Hunderttausende von Menschen sorgen? Sein Land bedeutet ihm mehr als ich. Und das ist auch gut so«, schloss er seufzend.
    Ich versuchte, all die Wörter, mit denen er gerade nach mir geschmissen hatte, in meinem Kopf zu sortieren. Ein krankes Herz? Mein Bruder?
    Glitzerwasser und Rauchwaren?
    Niemals!
    »Doch«, beharrte Sora, und ich bemerkte erst in diesem Moment, dass ich unablässig den Kopf schüttelte. Mir wurde schon langsam schwindelig davon. Ich stellte es ein, doch es kostete mich einige Mühe.
    »Außerdem hat das Komitee angeblich entschieden, dass ich nicht nach Silberfels gehe, sondern in Hohenheim bleibe, um mit einem verdienten Heerführer alles über Kriegsstrategien und Waffen zu lernen. Und dabei vielleicht einen Armbrustbolzen in die Schläfe zu kriegen, wer weiß«, führte er bitter aus, winkte aber gleichgültig ab, ehe ich vollends die Contenance verlieren konnte. »Aber all das ist nicht der Grund, aus dem ich heute Nacht nicht einschlafen konnte«, setzte er nach, und ich presste die Hände auf die Ohren und nahm das Kopfschütteln wieder auf.
    »Nicht noch mehr!«, jammerte ich.
    Mein Bruder packte meine Handgelenke, drückte sie mit sanfter Gewalt in meinen Schoß und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. »Keine Sorge«, beschwichtigte er. »Es ist etwas Schönes.«
    Ich nickte heftig. »Erzähl mir etwas Schönes!«, bat ich flehentlich. »Sag mir, dass du nur einen Scherz gemacht hast. Dass deine Geschichte nur ein gemeiner Streich war, den ich mir verdient habe, als ich …«
    Ich brach ab und errötete.
    »Ja?«, hakte Sora nach.
    Ich zog eine Grimasse. »Schon gut. Es tut mir leid. Ich fand es irgendwie lustig, mir vorzustellen, wie du am Morgen in deine Stiefel schlüpfst und es plötzlich schmatzt und … Na ja. Sich so glitschig anfühlt. Immerhin hast du mich blondes Holzköpfchen genannt, als ich die Katzenfrage beim Erlebnislernen gestellt habe«, schmollte ich. »Und das vor allen anderen!«
    Es war nur wenige Tage zuvor und überhaupt nicht nett von ihm gewesen, weißt du? Moijo hatte eine Katze von einem Felsen geschmissen, um uns Kindern zu demonstrieren, dass Katzen immer auf allen vier Pfoten landen. Ich hatte mich daran erinnert, wie er eine Scheibe Weizenmischbrot mehrmals hintereinander von seinem Pult geschoben hatte, um mir zu zeigen, dass es immer auf der Schmalzseite landete, ohne mir allerdings zu erklären, warum das so war – ich sollte selbst darauf kommen, hatte das Rätsel aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht gelöst. Ja, ich weiß … Und es ist mir auch peinlich. Aber mit Naturgesetzen und den Rechenformeln kann ich auch heute kaum mehr anfangen, als sie in andere Sprachen zu übersetzen.
    Jedenfalls schleuderte Moijo die Katze vom Felsen, und da fiel es mir wieder ein. Ich erkundigte mich, was wohl geschah, wenn man der Katze eine Handvoll Schmalz auf den Rücken schmierte, und die anderen Kinder lachten mich aus

Weitere Kostenlose Bücher