Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
des Festtages erwachte Reeva fröstelnd, obwohl es in der Dachkammer warm war. Langsam breitete sich Übelkeit in ihr aus – doch für Nervosität war keine Zeit: Rasch kleidete sie sich an, denn bald würde man sie in der Schlossküche erwarten. Bevor sie ging, befestigte sie sorgfältig ein kleines Leinensäckchen an ihrem Gürtel und drückte dem schlafenden Jacob ein ganz ähnliches in die offene Hand: Heute würde vieles von den unscheinbaren Beuteln abhängen.
In der Küche wurde sie mit einem heftigen Backenstreich für ihr Zuspätkommen empfangen und an die Arbeit geschickt. Die anderen schnitten bereits eifrig Fleisch und Gemüse oder rührten in dampfenden Kesseln.
Stunde um Stunde verging quälend langsam. Obwohl Reeva so schwere Küchenarbeit aufgetragen bekam wie niemals zuvor, nahm sie die Anstrengung und die Schmerzen kaum wahr: Ihr Körper fühlte sich merkwürdig taub an. Das Einzige, war ihr zu schaffen machte, waren die Essensdünste – zwar hatte sie an diesem Tag nichts als ein wenig Haferbrei zu sich genommen, aber trotzdem drehten ihr die Gerüche schier den Magen um.
Wie spät es wohl sein mochte? War die Mittagszeit schon überschritten? Draußen tummelten sich gewiss unzählige geschäftige Menschen, die alles für das abendliche Fest vorbereiteten. Fast schien es Reeva, als könnte sie durch die dicken Mauern Stimmen und Fußgetrappel hören – doch das war natürlich Unsinn.
Je später es wurde, umso aufgeregteres Getuschel ging von Küchenmagd zu Küchenjunge, ja selbst der Küchenmeister stellte Vermutungen über das Spektakel an, das in der Festhalle herrschen musste. Reeva konnte die Gerüchte über die unzähligen Schausteller, Akrobaten, Musikanten und alles andere zur Belustigung der adligen Gäste kaum glauben. Allerdings lehrten sie die Unmengen an kunstvoll verzierten Speisen, die sich nach und nach um sie herum auftürmten, dass scheinbar unmögliche Dinge durchaus möglich gemacht werden konnten.
Irgendwann bekam sie den Befehl, ein Ferkel an einem Spieß über dem Feuer zu drehen. Die Hitze war so stark, dass sich ihr Haar kräuselte und ihr immer wieder der Schweiß in die Augen strömte. Inzwischen waren die Küchenleute mit ihrem Geplauder bei dem mehrtägigen Fest angelangt, das außerhalb der Schlossmauern stattfand und an dem jeder aus dem Volk teilnehmen konnte – es sei denn, man musste die Speisen für Seine Majestät zubereiten. In so mancher Stimme schwang Unzufriedenheit mit, aber immerhin blieb ihnen, darüber zu schwatzen, und das taten sie auch nach Herzenslust. Reeva schwirrte der Kopf von dem Schnattern der Menschen um sie herum; mit einer müden Handbewegung wischte sie sich den Schweiß aus dem Gesicht.
Schließlich wurde es Abend, und der Trubel in dem großen Raum verstärkte sich noch, als die ersten Speisen aufgetragen werden mussten. Die Zeit schien immer langsamer zu vergehen, bis Reeva kaum mehr die Augen offenhalten konnte; doch ein riesiger Berg von Messern, Töpfen und Kesseln wartete darauf, von ihr geputzt zu werden.
Als die Nacht weiter fortschritt, wurde es in der Küche allmählich ruhiger. Schaudernd dachte Reeva an Jacob, der vermutlich in ebendiesem Moment draußen zwischen essenden, trinkenden und tanzenden Menschen nach einem Mann mit grauem Bart und strenger Miene Ausschau hielt. Selbst des Königs Leibarzt würde sich an einem Tag wie diesem sicherlich unter das einfache Volk mischen.
Jetzt, dachte Reeva. Jetzt hat er ihn vielleicht gefunden. Er grüßt ihn und verwickelt ihn in ein Gespräch. Worüber? Vielleicht über eine Krankheit der Pferde, mit der er als Stallbursche zu kämpfen hat. Jetzt bietet er ihm einen Kelch Wein an, er prostet ihm zu. Und der Medikus bemerkt nicht die zerstoßenen Kräuter, die in der Flüssigkeit schwimmen …
Vermutlich würde der Leibarzt nicht allzu lange auf dem Fest verweilen und sich bald auf den Rückweg zum Schloss begeben. Er würde taumeln, von einer plötzlichen Müdigkeit erfasst, und sich an den Kopf greifen – dann würde er sich niedersetzen und sogleich in tiefen Schlaf fallen.
So sollte es sein, dachte Reeva. Doch konnte Jacob den Mann inmitten der Menschenmenge überhaupt finden? Und würde der Gelehrte sich auf ein Gespräch mit dem Stallburschen einlassen? Vielleicht würde er die einschläfernden Kräuter im Wein entdecken – wahrscheinlich würde er das, er war schließlich Arzt …
Ihr kurzer Augenblick der Muße blieb nicht unbemerkt, schon riss sie der zweite
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