Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
wärmer: Sie hatten nicht mehr viel Zeit.
Umso erleichterter fühlte sich Reeva daher, als sie nach der langen Wanderung in der Ferne endlich die Stadtmauern aufragen sahen, in deren Schutz der König residierte. Der nahegelegene Wald wurde von dem Herrscher gewiss oft zur Jagd genutzt und machte die Stadt für diese Jahreszeit zu einem guten Aufenthaltsort.
Sobald sie durch das große Tor ins Innere der Mauern gelangt waren, begaben sich Reeva und Jacob auf die Suche nach einer Herberge. Ein Handwerker wies ihnen den Weg zu einem Wirtshaus, das zwar billig war, dessen Betten jedoch als leidlich sauber galten.
Die Schankstube des „Goldenen Hahns“ war gesteckt voll von essenden, trinkenden und lachenden Menschen aus dem einfachen Volk. Jacob und Reeva hatten einige Mühe, ein freies Plätzchen zu ergattern, und es dauerte auch eine Weile, bis ihnen schließlich ein junges Mädchen zwei Krüge und dampfende Suppenschalen brachte.
„Es tut mir leid, dass ihr so lange warten musstet“, entschuldigte es sich, als es seine Last vor den beiden abstellte, „doch meine Mutter hat wegen der vielen Gäste eine Menge zu tun. – Natürlich wird in der Schlossküche bald um einiges mehr los sein“, fügte es hinzu und lachte vergnügt.
Jacob sah von seiner Schüssel auf. „Was meinst du damit?“
Die Wirtstochter, die sogleich den fremden Akzent heraushörte, setzte sich neugierig zu den „beiden Jünglingen“ an den Tisch. „Ihr seid wohl nicht von hier? Jedermann spricht doch von dem riesigen Fest, das bald zu Ehren des Geburtstags Seiner Majestät stattfinden soll. Es wird Buden geben und Tanzmusik und viel zu essen – oh, Gaukler werden wohl auch da sein. Auf jeden Fall wird es ein tolles Spektakel werden!“
„Und in der Schlossküche gibt es jetzt schon Vorbereitungen dafür“, nickte Jacob, womit er sofort einen weiteren Redeschwall bei dem Mädchen auslöste.
„Oh ja, denn es sind schon viele adlige Gäste im Schloss eingetroffen, die alle verköstigt werden müssen. Es soll die prächtigsten Festmähler dort oben geben; aber wir im ‚Goldenen Hahn‘ werden in den Feiertagen auch ordentlich backen und braten. Natürlich muss ich dabei immer tüchtig mit anpacken, ich hoffe nur, dass ich noch genug Zeit zum Mitfeiern haben werde …“
Eine Weile hörten Jacob und Reeva dem Geplapper der Wirtstochter zu, während sie zufrieden die würzige Suppe aßen – seit Längerem endlich wieder eine warme Mahlzeit. Doch als die Krüge geleert und die letzten Reste aus den Schalen gekratzt waren, unterbrach Jacob das muntere Plaudern des Mädchens:
„Sag, könntest du uns wohl den Weg zum Schloss beschreiben? Wir möchten – wir müssen mit eurem König sprechen.“
Zunächst weiteten sich die Augen der Wirtstochter vor Staunen, dann brach sie in übermütiges Gelächter aus. „Du treibst wohl deinen Spaß mit mir? Natürlich ist es unmöglich, dass ihr zu Seiner Majestät vorgelassen werdet. Wenn das so einfach ginge, wäre ich sicherlich Stammgast im Schloss!“
Reeva musste dem Mädchen zustimmen: So ohne jede Schwierigkeit, wie Jacob es sich ausmalte, würden sie ihr Vorhaben bestimmt nicht verwirklichen können. Doch der Junge beharrte darauf, es beim Haupttor des Schlosses versuchen zu wollen:
„Lass uns einmal hingehen, es kann schließlich nicht schaden.“
„Wenn das so ist, möchte ich euch gerne begleiten, ich habe ohnehin gerade eine kurze Pause. Etwas Derartiges lasse ich mir doch nicht entgehen“, verkündete die Wirtstochter immer noch kichernd, während sie ihre Schürze ablegte. „Ich werde euch hinführen.“
***
Schon das Schloss, welches Reeva aus ihrer Heimat kannte, hatte wenig von einer Festung gehabt; doch das riesige Bauwerk, vor dem die Drei kurze Zeit später standen, war noch viel reicher verziert und mit prächtigen Türmen bestückt. Als Jacob und Reeva staunend stehenblieben, wirkte die Wirtstochter so stolz, als hätte sie das Schloss mit ihren eigenen Händen errichtet: „Unser König ist eben ein Mann, der schöne Dinge liebt.“
Der Anblick der Wächter erinnerte Reeva sofort an einen gar nicht so weit zurückliegenden Tag, als sie an einem ganz ähnlichen Tor um Einlass gebeten hatte. Und auch die Reaktion, die auf Jacobs ohne Scheu vorgetragene Bitte folgte, war ihr vertraut: Einer der bewaffneten Männer machte vor seiner Stirn das Zeichen für Schwachsinn, und der andere befahl ihnen, auf der Stelle zu verschwinden.
Der Junge schien nach
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