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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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sie die Stimmung wieder einigermaßen ins Gleichgewicht zu bringen, „wir können uns gern ein bißchen unterhalten.“
    Der Ausdruck auf seinem Gesicht machte ihr klar, wie ihre Worte auf ihn gewirkt haben mußten.
    „Unterhalten?“ echote er befremdet.
    „Du weißt, daß man sich beim Plaudern am besten kennenlernt.“
    Dean lächelte. „Mein Herzchen, ich glaube, ich weiß bereits alles über dich, was mich interessiert. Grüne Augen, das allerreizendste Näschen...“
    Kitty gab auf. Als sie an diesem Abend nach Hause kam, weinte sie bitterlich vor Wut und Enttäuschung. Der Fehler lag natürlich bei ihr, darüber konnte es keinen Zweifel geben. Beim nächsten Treffen mußte sie sich unbedingt mehr Mühe geben, um den Abend zu einem Erfolg für beide zu machen.
    Die arbeitsfreie Nacht brachte in jeder Woche Kittys Schlafgewohnheit aus dem Gleichgewicht. Wenn sie Samstag morgens heimkam, schlief sie bis etwa 12 Uhr mittags und fuhr dann in die Stadt, um ihren Scheck einzulösen und Einkäufe zu machen. Diese Zeiteinteilung war nicht allzu günstig, denn da sie am Abend mit Dean ausging, verlor sie noch mehr Schlaf, und am Sonntag war der Lärm unter ihrem Fenster derart laut, daß sie kein Auge zutun konnte. Kitty war sich wohl bewußt, daß sie immer abgespannter wurde. Während der Woche stand sie jeden Tag später auf. Sie dachte dabei an die andern Frauen in der Nachtschicht, die außer ihrer Arbeit noch Familien zu versorgen hatten. Es war Kitty völlig unverständlich, wie diese mit so wenigen Ruhestunden auskommen konnten.
    Am Sonntagmittag um zwölf Uhr hatte sie es aufgegeben, sich weiterhin schlaflos im Bett herumzuwälzen. Die Dobbschen Kinder gegenüber hatten den Hydranten aufgeschraubt und sprangen kreischend durch den Wasserstrahl hindurch; die Kleinen hopsten splitternackt umher, ein Anblick, der in der Pearl Street nicht beanstandet wurde. Der Eiscremeverkäufer hatte mit seinem Karren in der Mitte des Straßenblocks angehalten, und eine Horde Indianer hätte nicht lauter johlen und schreien können als die Kinderschar, die sich um ihn drängte. Kitty ließ den Fenstervorhang fallen und seufzte. Ein langer, unerträglich heißer Nachmittag streckte sich vor ihr aus.
    Aus der Küche hörte sie Danny herauf ruf en: „Wenn du nichts Besseres zu tun hast, Kitty, dann hätte ich eine Bitte an dich.“
    „Was für eine?“
    „Würdest du meine Bolle ins Gemeindehaus tragen? Ich muß sie vor der Abendbrotzeit abgeliefert haben, aber in einer halben Stunde soll ich im ,Christlichen Verein Junger Männer’ sein.“
    Der „Christliche Verein Junger Männer“? O ja, sie erinnerte sich jetzt, daß Danny heute dort in seinem ersten Baseballspiel mitzuwirken hatte. Die „Adler“ des Gemeindehauses gegen die „Kardinäle“ des Vereins.
    „Gut“, sagte sie und war froh, irgendein Ziel für den Nachmittag gefunden zu haben, „ich gehe für dich hin.“
    „Prächtig“, freute er sich. „Meine Rolle liegt auf dem Fernsehgerät. Irgendwer wird sicherlich im Büro sein.“
    Sie steckte das schmale Heft mit Dannys Rolle in ihre Tasche und verließ das Haus. Wie eine schwere Decke lastete die Hitze über der Stadt, und trotz der welken Bäume schien die ganze Pearl Street zu dampfen und zu flimmern. Kitty winkte den Dobbschen Kindern zu und nickte in Richtung der Bianchis. Die Witkowskis schaukelten allesamt auf der Veranda, während die alte Klatschbase Omelianuk wie gewöhnlich an ihrer Fensterscheibe festgeklebt zu sein schien, raffiniert versteckt hinter ihren staubigen Blumentöpfen. Dies war der beste Block der Straße. Hinter der Kreuzung begann Kitty ihren Schritt zu beschleunigen, vorüber an dem zersplitterten Schaufenster des Lebensmittelgeschäfts und an der Eisdiele mit ihrem stets ungewaschenen Fußboden, wo die jüngeren Buben der Pearl Street herumlungerten. Sie tat, als höre sie ihre Pfiffe und frechen Bemerkungen nicht, als sie eiliger vorbeistrebte. Dann folgten die Reihenhäuser, eines genau wie das andere, mit ihren Veranden voll Wäsche und alten Möbeln und schreienden Babys und Blumentöpfen. Und nun stand sie endlich vor der Tür des Gemeindehauses.
    Früher war das Gebäude einmal eine Schule gewesen. Es war ein Backsteinbau — das einzige Mauerwerk der Pearl Street —, und vor seiner schmalen Front erstreckte sich ein schmiedeeiserner Zaun mit einem recht gefälligen Schnörkelmuster. Der große Hof war mit Beton gepflastert, aber die neue Direktion hatte seine

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