Das Mädchen aus der Pearl Street
sie, Dean und Piccolo, und nachdem Piccolo nun fehlte, wurde es sehr offensichtlich, daß Kitty und Dean einander nicht allzuviel zu sagen hatten. Nun, schön und gut, wollte sie sich selbst beschwichtigen, sie und Dean waren eben beide etwas ernst und still veranlagt. Dagegen war nichts einzuwenden, oder etwa doch?
Als sie am Freitag ihren zweiten Lohnscheck in Empfang nahm, wurde ihr klar, daß sie nun bereits drei und eine halbe Woche für die Fairfield-Plastikfabrik arbeitete. Ein Hamster mochte die gleiche Sucht verspüren, seine Schätze aufzuhäufen, wie sie ihr Geld, und sie war daher froh, daß Dean für den kommenden Samstag statt des Tanzabends den Besuch eines Drive-in-Kinos vorschlug, denn auf diese Weise brauchte sie sich kein neues Kleid zu kaufen, sondern konnte statt dessen die Summe für ein paar Popelineröcke anlegen.
„Nun, da ich einen eigenen Wagen habe, weiß ich ein Drive-in-Kino erst richtig zu schätzen“, hatte Dean gesagt.
„Du hast nur so lange ein eigenes Auto, wie du wöchentlich fünfundzwanzig Dollar dem Lieferanten abzustottern in der Lage bist“, schränkte Piccolo ein.
„Nur fünf Wochen lang“, entgegnete Dean, „und auch nur wegen des neu eingebauten Motors, mein Söhnchen.“
Kitty fühlte wieder Neid und Groll wie Säure in ihrer Seele fressen. Sie dachte an ihre eigenen zweiundvierzig Dollar, die wie ein Kuchen für eine zu große Schar von Essern in schmale Stücke zerschnitten wurde, während Dean über die Hälfte seines Lohnes an ein Auto hängen konnte. Keine Ausgaben für Unterkunft und Verpflegung, nichts für Kleider oder Ausbildungszwecke. Würde sie je aufhören, die Pearl Street mit der Terrassenstraße zu vergleichen?
Der Kinobesuch am Samstag war kein voller Erfolg. Vielleicht war einer der Gründe dafür der, daß hier keine Tanzfläche war. Den Film hatte Kitty bereits seit Monaten ansehen wollen. Mit einer Tüte voll Puffmais und einem Tablett mit Eiscreme-Soda lehnte sich Kitty in den weichen Sitz des Wagens zurück, um die Vorstellung von Herzen zu genießen, aber bald stellte sich heraus, daß sie und Dean zu verschiedenen Zwecken hergekommen waren.
Sobald es völlig dunkel war, legte sich sein Arm um ihre Taille, und gleich darauf spürte sie seine Stirn auf ihrer Wange.
„Kitty, Mädchen“, sagte er dazu.
Der Film hatte bereits begonnen, Kittys Aufmerksamkeit zu fesseln. Sie wandte nur ungern den Blick von der Leinwand, und als sie Dean einen Moment lang anschaute, fand sie, daß er ausgesprochen albern wirkte in seiner Liebhaberpose mit dem begehrenden Blick.
„Ja, Dean!“ entgegnete sie höflich und begann eifrig, Popcorn in ihren Mund zu stopfen; wenn irgend etwas sie irritierte, hatte sie immer das Bedürfnis zu essen.
„So ein hungriges Mädchen!“ scherzte er, aber man hörte nur zu deutlich den Vorwurf aus seiner Stimme: „Hast du denn gar keine Zeit für mich?“
Kitty zwang sich, mit einem mühsamen Lachen möglichst leichthin zu antworten: „Ich dachte, wir wollten uns den Film anschauen?“
„Oooch, den habe ich längst schon gesehen!“
Ihre Verstimmung näherte sich bedenklich dem Punkt, wo sie in Ärger Umschlägen konnte. „Warum in aller Welt hast du denn dann dies Kino vorgeschlagen?“
Er lächelte. „Um mit dir allein sein zu können.“
Das rührte sie ein klein wenig, aber sie ließ sich doch ungern von dem Film ablenken, und als sie schließlich wieder auf die Leinwand schaute, hatte sie den Faden der Handlung verloren.
„Du hast die allersüßeste kleine Nase“, hörte sie Dean neben sich sagen. Sie seufzte und mußte sich eingestehen, daß sie verwirrt war. Es war nicht Dean, an dem sie zu zweifeln begann, sondern sie selbst war es. Wie war es möglich, daß sie es vorzog, den Film zu verfolgen? Dean wollte ein bißchen mit ihr schmusen, und das war schließlich nur natürlich. Irgend etwas an ihr mußte nicht stimmen. Hier bot sich ihr die günstige Gelegenheit, Dean zu verlocken, ihr fester Verehrer zu werden, und wenn ihr das gelang, dann würde er sie gewiß zu seinen College-Bällen einladen. Hier winkte die große Liebe, von der sie immer geträumt hatte, und statt selig zu sein, fühlte sie sich belästigt.
Hatte sie vergessen, daß es Dean Tracy war, der neben ihr saß, er, ihr bisher unerreichbares Idol? Leider konnte sie in dem, der an ihrer Seite lehnte, nur noch sehr wenig Gemeinsames mit jenem Dean Tracy erkennen, den sie seit Jahren angeschwärmt hatte.
„Schön“, versuchte
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