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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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und schließlich über ehemalige Mitschüler und Lehrer lustig zu machen, aber beide vermieden, Dean Tracy noch einmal zu erwähnen.
    Plötzlich streifte Kittys Blick die Uhr über der Theke, und sie rief erschrocken: „Liebe Güte! Beinahe halb sechs! Und ich muß noch kochen!“
    „ Du kochst?“
    Sie nickte. „Ich tu’ es seit Jahren. Mutter arbeitet von elf bis sieben und manchmal von Mitternacht bis morgens um acht. Kannst du ihr nachfühlen, was das heißt? Und sie tut es sechs Tage in der Woche, nun bereits seit fünfzehn Jahren!“
    „O ja! Sie arbeitet bei Petrucci, nicht wahr?“
    Kitty sah ihn scharf an. „Das weißt du also auch?“
    „Ich habe es irgendwo gehört.“
    Sie zögerte und erinnerte sich an jenen ersten Morgen, als Dean vorgeschlagen hatte, zu Petrucci zu fahren, und Piccolo ihn in seiner natürlichen, gewinnenden Art statt dessen für die Bäckerei Sawyer interessiert hatte.
    „Hast du schon vor einem Monat gewußt, daß Mutter bei Petrucci Kellnerin ist?“
    Piccolo hob seine Brauen. „Wieso?“
    „Ich meine nur so“, stotterte sie und beeilte sich, neben ihm ins Auto zu klettern.
    „Bis heute abend also“, sagte Piccolo schließlich, als er nach einer kurzen, schweigsamen Fahrt vor ihrem Haus hielt, „Salztabletten und Schweißbänder!“ Sie lächelte. „Wiedersehen, Piccolo, und danke schön; es war nett von dir, mich einzuladen.“ Sie schaute ihm nach, als er davonfuhr. Das war es, was sie und Dean nun jeden Morgen bei ihrem Besuch in der Bäckerei vermißten, dachte sie, Piccolo und seine nur ihm eigene humorvolle Art. Es war ein Jammer, daß Dean einzig und allein nur gut aussah. Piccolo war zwar keine so glänzende Erscheinung, dafür aber hatte er etwas, das jedem Menschen, der mit ihm beisammen war, das Gefühl gab, die Welt sei hell und warm.
    Kitty summte vor sich hin, als sie zwei Stufen auf einmal zur Veranda hinaufhüpfte und sich eilig anschickte, das Abendessen zu kochen.
     

10. KAPITEL
     
    Zwei Nachmittage später suchte Kitty Cy Whitney auf. Sie wußte selbst nicht, warum sie sich dazu entschlossen hatte, wenn es nicht darum war, daß sie sich beunruhigt und gelangweilt zugleich fühlte und sich selbst nicht recht verstehen konnte. Cy saß an seinem Schreibtisch mit einem Stoß Akten vor sich und einer Schildpattbrille auf der Nase. „Nehmen Sie Platz!“ lud er ein. „Sie sind eine willkommene Unterbrechung in dieser mir verhaßten Papierarbeit von Budget-Aufstellungen und Berichten an die Verwaltung. Was kann ich für Sie tim?“
    Sie setzte sich nicht, aber sie sagte: „Ich glaube, ich bin hergekommen, um meinen Minderwertigkeitskomplex hinsichtlich der Pearl Street loszuwerden, und zwar auf Ihre Art.“
    „Gut“, stimmte er zu. „Ich kenne Sie aber wohl kaum gut genug, um ein Recht zu der Frage zu haben, was Ihre Einstellung geändert hat.“
    Sie lächelte schwach. „Solche Hemmungen scheinen Sie nicht gestört zu haben, als Sie mir bereits bei unserer zweiten Begegnung wie toll die Leviten gelesen haben!“
    „Oh, ich bin nur neugierig, ob ich mit meiner damaligen Wette ins Schwarze getroffen hatte und Ihr Terrassenstraßen-Verehrer Sie bereits zu langweilen beginnt.“
    „Wenn ich mit ,nein‘ antworte, glauben Sie es mir doch nicht“, entgegnete sie, „und wenn ich ,ja‘ sage, dann steigt Ihnen Ihr neuer Erfolg erst recht in die Krone. Mir scheint, Sie sind ohnedies bereits überreichlich selbstbewußt, stimmt’s?“
    Er verneigte sich leicht. „Wie recht Sie haben! Ganz so ist es!“ Kitty zögerte. „Warum haben Sie das damals eigentlich gesagt---? Das über Dean, meine ich. Wie können Sie sich so als Richter auf spielen...?“
    „Ich bin kein Richter und will auch keiner sein. Aber es genügt, daß ich zehn Jahre älter bin als Sie. Sie und ich, wir sind einander in vielem ähnlich. Wir sind Kämpfernaturen, ja? Aggressiv! Wir wissen, was wir erreichen wollen. Jemand so Weichliches wie Ihr Freund paßt nicht zu uns. Sie brauchen jemanden, der stärker ist als Sie selbst, und zwar auf andere Art als Sie, jemanden, den Sie gern haben und gleichzeitig respektieren können, und — da Sie Ihre eigenen besonderen Probleme haben — jemanden, der reif genug ist, Sie zu verstehen. Glauben Sie, daß Ihr jugendlicher Liebhaber eine Ahnung von Ihrer wirklichen Persönlichkeit hat? Glauben Sie, daß er sich überhaupt dafür interessiert? Ich habe das Gefühl, daß er noch nicht gelernt hat, hinter ein hübsches Lärvchen zu schauen. Ich

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