Das Mädchen aus der Pearl Street
es war erschreckend; beim Gottesdienst war ihr manchmal so zumute oder aber auch beim Polkatanzen, es war erschöpfend und belebend zugleich. Sie lehnte sich zurück und umfing ihn mit ihrem Blick. Ihre Augen schauten beglückt auf die beiden Falten, die sich quer über seine Stirn eingruben, sie strichen über seinen dicken, rotblonden Schopf und die gleichfarbigen Brauen, die sich beim Gespräch zuweilen schelmisch winkelten und den Stirnfalten näherten. Sein Mund war ein wenig nach oben geschwungen, und über seiner Nase nisteten ein paar freche Sommersprossen. Als sie von ihm auf Dean schaute, fand sie, daß Dean bei diesem Vergleich seltsam gesunken war; ein High School-Fußballheld, hübsch, hohl und sich seines Charmes viel zu bewußt.
Es klingelte, und Piccolo streifte sie mit einem kurzen unpersönlichen Blick. „Nun wieder ’ran an die Arbeit!“ sagte er und zuckte die Schultern.
„Ja“, sagte sie und wurde wieder rot, diesmal aus Furcht, er könnte vielleicht ihre Gedanken lesen. Eifrig drängte sie zur Tür, denn niemals, niemals sollte er wissen, wie es um sie stand und was sie für ihn empfand. Als sie sicher war, daß er bereits hinter seinen Maschinen verschwunden war, drehte sie sich nochmals um und starrte in Richtung seines Ganges. Wie furchtbar es war, jemanden zu lieben, den es nicht kümmerte! Als nächstes lag der übliche Bäckereibesuch mit Dean vor ihr. Der Gedanke darein war schier unerträglich.
Sie hatte sich Dean erträumt, und sie hatte ihn bekommen, aber nun fühlte sie sich wie eine Maus, hinter der die Falle zugeschnappt war. Wie viele Widersprüche waren in ihrem Wesen vereinigt!
Sie hielt es selbst nicht für möglich, aber sie wünschte sich wahr und wahrhaftig, daß Ellen Crawford plötzlich dahergeschwebt käme und ihr Dean entführte! Den geringschätzigen Blick in Ellens Gesicht malte sie sich aber lieber nicht aus, mit dem diese gewiß den Kopf schütteln würde, wenn sie erführe, daß Kitty den Traumhelden der Fairfield-High-School verschmähte und dafür Hals über Kopf in Piccolo Boswell verliebt war.
Schließlich erklärte sie Dean, sie könne Dannys wegen heute morgen nicht in der Bäckerei einkehren. Sie wußte, daß sie nicht ganz die Wahrheit sagte, denn wenn Piccolo sie eingeladen hätte, wäre sie nur allzu gern gegangen. Aber sie konnte in ihrem gegenwärtigen Zustand die schleppende Unterhaltung mit Dean einfach nicht ertragen.
Als sie um halb acht zu Hause ankam, traf sie Cy gemeinsam mit Thomas am Küchentisch an. Sie tranken Kaffee, beide in Hemdsärmeln, und Kitty roch, daß Thomas Speck gebraten hatte.
„Er ist gekommen, um sich nach Danny zu erkundigen“, sagte Thomas, als müsse er sich für irgend etwas rechtfertigen.
„Das ist nett von ihm, aber Danny liegt einen Stock höher“, neckte sie plötzlich gut gelaunt, „wie geht es unserm Patienten?“
„Er ist völlig steif und kann sich kaum bewegen. Mutter ist noch nicht heimgekommen.“
„Habt ihr was dagegen, wenn ich mich zu euch setze?“
„Kaffee?“ bot Thomas an.
„Nein, danke schön. Ich will irgend etwas Eiskaltes. Haben wir Grapefruitsaft im Haus?“
„Neee, keinen Tropfen.“
„Coca-Cola?“
„Ich glaube, eine Flasche ist im Kühlschrank.“
„Ihr dürft nicht vergessen, daß ich jetzt zu Abend esse“, lachte sie, „nach einem sehr heißen Tagewerk. In der Fabrik hatte es 54 Grad um ein Uhr fünf.“ Als sie die Flasche öffnete, begegnete ihr Blick dem von Cy, und sie erkannte, daß sein Beisammensein mit Thomas mehr war als ein zufälliger Schwatz.
„Würdet ihr mich entschuldigen?“ zog sie den Schluß daraus, „ich trinke dies oben bei Danny.“
Danny saß im Bett und kämpfte mannhaft mit einem Teller voll Speck, den Thomas für ihn gebraten hatte.
„Was du brauchst, ist Grießbrei, nicht Speck,“ belehrte sie ihn mit gespielter Strenge, „oder möchtest du lieber Haferschleim?“
Danny schüttelte den Kopf. „Thomas hat mir das gebracht“, betonte er, „er hat den Speck selbst gebraten. Für mich! Folglich muß ich unbedingt irgendwie damit fertig werden. Aber ich wünschte, ich hätte meinen Zahn noch.“
Sie lächelte schwach über seine rührende Anhänglichkeit und Treue für Thomas, und sie wünschte sich, er möge nie mehr darin enttäuscht werden. Es war erstaunlich, wie häuslich Thomas plötzlich geworden war.
„Cy ist bei ihm“, erklärte Kitty, „sie haben es so dicke miteinander wie ein paar Diebe. — Wie geht es
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