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Das Mädchen aus der Pearl Street

Das Mädchen aus der Pearl Street

Titel: Das Mädchen aus der Pearl Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman Butters
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sollte noch nicht allein gelassen werden. Gewöhnlich hat meine Mutter samstags frei, aber sie hat schon zwei Nächte Arbeit versäumt, und sie will Mr. Petruccis Gutmütigkeit nicht weiterhin annehmen.“
    „Ich verstehe“, sagte er schnell, aber Kitty erkannte, daß er sich nicht wirklich für Danny interessierte, daß er nicht wirklich Kummer und Angst und Sorge mit ihr teilte. Er hatte zwar teilnehmend erscheinen wollen, aber nun paßte es ihm absolut nicht, daß er Dannys wegen auf sein Vergnügen am Samstag verzichten sollte. Keinerlei Einfühlungsvermögen, erinnerte sie sich an Cys Worte, und sie mußte wider Willen zugeben, daß er recht behalten hatte.
    Sie konnte kaum erwarten, bis es Zeit zur Pause war, aber nicht wegen Dean, sondern wegen Piccolo. Den ganzen Tag über hatte sie sich daran erinnert, wie freundlich und mitfühlend er gestern abend gewesen war, wie er bis Mitternacht dageblieben war und versucht hatte, mit kleinen, rührenden Handreichungen behilflich zu sein. Niemand hatte ihm dafür gedankt. Vermutlich war jeder zu aufgeregt gewesen, aber als Kitty nun die Ereignisse nochmals überdachte, war es Piccolo, der sie am stärksten beeindruckt hatte.
    Dean wartete an einem Tisch auf sie, aber Kitty hielt nach Piccolo Ausschau, denn sie wußte, daß er ein mitfühlendes Lächeln für sie haben würde und eine ernstgemeinte Frage nach dem Ergehen von Danny. Es drängte sie, mit jemandem zu sprechen, der von dem ganzen scheußlichen Geschehen wußte. Dean schien so teilnahmslos, es hatte geklungen, als denke er an etwas ganz anderes, als er sich nach ihrem Bruder erkundigte.
    Piccolo kam in die Kantine geschlendert. Er pfiff einen alten Schlager vor sich hin. „Was für eine Nacht!“ ulkte er die beiden an. „Ich stand vier Stunden lang neben dem Thermometer und kann beschwören, daß genau um fünf nach eins die Hitze auf hundertdreißig Fahrenheit gestiegen ist, macht vierundfünfzig Celsius.“
    „Du mit deinen Statistiken!“ lachte Dean ihn aus. „Weißt du noch, wie du genau nachgezählt hast, wie oft Dr. Harcourt sich während seiner Rede räusperte?“
    „Jawohl“, bestätigte Piccolo und imitierte das Hüsteln des alten Lehrers, „einundzwanzigmal!“
    Kitty starrte von einem zum andern. Piccolo fragte mit keinem Wort, wie es Danny ging, ja er hatte sie nicht einmal gegrüßt! Er war heute abend wieder ganz der gewohnte Piccolo, leicht sarkastisch und sehr unpersönlich. Ihr wurde einen Augenblick ganz schwach vor lauter Enttäuschung, denn gestern abend hatte sie ihn so anders gesehen und betrachtet. Sie hatte ihn für liebenswerter und hilfsbereiter als irgendeinen andern Menschen auf der Welt gehalten. Sie erinnerte sich, wie zuversichtlich sie sich plötzlich gefühlt hatte, als sie ihn neben Cy im Volkswagen erkannte, wie sicher sie war, daß alles gut ausgehen mußte, weil Piccolo in der Nähe war. Sie hatte geglaubt, er sei ein Freund oder gar----? Über den Tisch hinweg traf sein Blick den ihren, und sie lief scharlachrot an.
    Wie betäubt saß sie da, und es wurde ihr sehr heiß. Sie betrach -tete beide, Dean und Piccolo, während die unglaubliche Erkenntnis in ihr dämmerte, daß sie sich verliebt hatte. Verliebt! Und ausgerechnet in Piccolo! Piccolo! Ja, sie liebte ihn!
    Warum hatte sie nur so blind sein können, wunderte sie sich, indem sie all die Gefühle in sich aufkeimen spürte, die sie mit so viel Mühe künstlich für Dean zu pflegen bemüht gewesen war! Für Piccolo kamen sie von selbst. Er war es gewesen, der ihr die Welt plötzlich hatte so warm und hell erscheinen lassen und der Grund, warum das Frühstück in der Bäckerei nun so langweilig geworden war, lag darin, daß Piccolo nicht mehr daran teilnahm. Seine Abwesenheit hatte sie die fehlende Reife und die Oberflächlichkeit in Deans Wesen erkennen lassen.
    Piccolo war nichts von all dem, was sie sich erträumt hatte. Es gab nichts an ihm, das besonders hervorhebenswert erscheinen mochte, außer--nun, außer daß er eben Piccolo war. Er war nicht hübsch. Er hatte sich auf keinem Gebiet besonders hervorgetan und von sich reden gemacht, aber man konnte ihm nachsagen: er war immer er selbst geblieben. Er war absolut nicht aufregend, er war nur eben der Piccolo — und sie hatte ihn lieb!
    Ich liebe ihn, wiederholte sie immer wieder, und nun, da ihr Verstand wieder mit ihrem Herzen Schritt hielt, wurde ihr voll bewußt, daß sie noch nie in ihrem Leben etwas Ähnliches empfunden hatte. Es war herrlich und

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