Das Mädchen aus Mantua
überwinden. Du sollst ihr Zuhause als dein Zuhause betrachten und so lange dort bleiben, wie es dir beliebt. Ach ja, und Arcangela darf auch mitkommen, weil du so an ihr hängst. Das macht das Ganze noch erfreulicher. Wenn es nicht sogar als Geschenk des Himmels zu werten ist!«
Celestina war davon überzeugt, dass es andere, wesentlich triftigere Motive für die Einladung gab als eine plötzlich erwachende familiäre Verbundenheit. Doch das Angebot hatte einfach zu gut gepasst, um es auszuschlagen.
Celestina begrüßte auch ihren Onkel Lodovico, einen zur Körperfülle neigenden Mittvierziger mit teigigen Gesichtszügen, der zum Glück davon absah, sie zu umarmen. Vermutlich hatte er in früheren Jahren besser ausgesehen. Anders war nicht zu erklären, was Celestinas Vater mit Schönling gemeint haben könnte.
Die Sache mit der Habgier erklärte sich einfacher: Tante Marta war äußerst wohlhabend. In erster Ehe war sie mit einem Weinhändler vermählt gewesen, der nach kurzer Zeit gestorben war und ihr ein beträchtliches Vermögen sowie sein gut gehendes Handelsgeschäft hinterlassen hatte. Im Jahr darauf hatte sie den mittellosen Lodovico Bertolucci geheiratet.
Celestinas Mutter hatte dazu ihre eigene Meinung. »Auch wenn sie noch so betucht ist – sie sieht trotzdem aus wie ein Schwein. Aber vielleicht will sie an dir wiedergutmachen, was sie bisher an familiären Verpflichtungen versäumt hat.«
Daran glaubte Celestina nicht so recht. Die wenigsten Menschen handelten aus reiner Nächstenliebe.
»Kind, du bist aber groß geworden«, sagte Lodovico Bertolucci zu Celestina. »Natürlich nicht im Sinne von groß . Da bist du eigentlich eher klein. Ich meinte es im Sinne von erwachsen.«
»Lodovico, sie ist bereits Witwe«, sagte Marta.
»Richtig. Du warst ja verheiratet. Armes Ding.« Er lachte jovial. »Natürlich meinte ich, dass du ein armes Ding bist, weil du deinen Gatten verloren hast. Nicht etwa, weil du verheiratet warst.«
Celestina rang sich ein Lächeln ab, während die allgemeine Begrüßung bei Arcangela weiterging.
»Was bist du für ein hübsches Geschöpf«, sagte Lodovico zwinkernd.
»Seid bedankt, Messèr Bertolucci«, sagte Arcangela mit unbewegter Miene.
»Nicht doch. Für dich bin ich Lodovico.« Er bemerkte den scharfen Seitenblick seiner Frau und fügte hinzu: »Natürlich im Sinne von Onkel Lodovico.«
Marta musterte mit merklichem Missfallen Arcangelas glänzend gebürstete rote Locken, den tiefen Ausschnitt und die vollen Lippen. »Du bist also Celestinas neue Schwester.«
»So neu nun auch wieder nicht«, sagte Arcangela.
»Wie kam noch gleich die Verwandtschaft zustande?«, fragte Lodovico. »Heiratete hier nicht irgendwer irgendjemanden?«
»Celestinas Mutter meinen Vater, in zweiter Ehe«, erläuterte Arcangela freundlich die Verwandtschaftsverhältnisse. »Vor zehn Jahren.«
»Aha«, sagte Lodovico. »Ich hoffe, es gefällt euch beiden in Padua und ihr fühlt euch rasch heimisch.« Er wandte sich an seine Frau. »Ist es nicht schon Zeit zum Abendessen?«
Der Speisesaal befand sich wie die anderen repräsentativen Räume des Hauses im ersten Obergeschoss. Der Tisch war für acht Personen gedeckt. Nachdem Lodovico und Marta sowie Celestina und Arcangela Platz genommen hatten, gesellte sich kurz darauf noch eine alte Frau dazu. Marta stellte sie als Tante Immaculata vor. Wie sich herausstellte, war sie eine weitläufige Verwandte von Lodovico, die in längst vergangenen Tagen seine Kinderfrau gewesen und später als Mitglied seines Haushalts der Familie erhalten geblieben war. Sie sah aus wie ein alter, aber immer noch flugfähiger Raubvogel, ein Eindruck, der durch die krächzende Stimme und die starren Blicke, mit denen sie Celestina und Arcangela beäugte, noch verstärkt wurde.
»Es heißt, dein Mann war ein fähiger Arzt«, sagte sie. »Und es heißt auch, du selbst habest ihm darin kaum nachgestanden.«
»Wer sagt das?«, fragte Celestina, obwohl sie eine Ahnung hatte.
»Deine Mutter schrieb es in ihren Briefen«, warf Marta ein. Glühender Eifer zeigte sich in ihren rundlichen Zügen. »Sie schilderte mir die Zeit, in der sie zu Besuch bei dir in Mantua weilte, nach dem Tode deines Gatten.«
»Sie war nur zwei Wochen bei uns«, warf Arcangela ein.
Marta nahm es nicht zur Kenntnis. »Sie sagte, du habest heilende Hände und wärest du ein Mann, würdest du zweifelsfrei eines Tages der Leibarzt eines Königs werden.«
»Mutter übertreibt maßlos. Ich
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