Das Mädchen aus Mantua
schneidet!«
»Ich hätte ihn gern kirchlich beisetzen lassen«, erklärte Vitale. »Aber mir waren die Hände gebunden. Der Prosektor der Anatomie kam wie üblich mit einer vom Rat abgezeichneten behördlichen Anordnung zur Überstellung der Leiche an die Universität.«
»Dieser Kerl – er hat irgendwie Dreck am Stecken!«
»Der Meinung bin ich auch. Deshalb wollte ich ja auch deinen Bruder bitten, für mich Augen und Ohren offen zu halten.« Er strich ihr das Haar zur Seite. »Was ich übrigens heute getan habe.« Zärtlich biss er ihr ins Ohrläppchen.
Sie fuhr auf. »Du hast was ?«
Ihr Ohrläppchen brannte wie Feuer, weil er noch seine Zähne darin vergraben hatte, als sie den Kopf bewegt hatte. Hastig kniff sie es mit zwei Fingern zusammen und ignorierte den Schmerz, während sie verstört auf seine Antwort wartete.
»Nun ja, ich sprach mit Marino und bat ihn, den Prosektor zu beobachten und auszuhorchen. Vielleicht findet er etwas heraus, womit wir dem Kerl auf die Schliche kommen können.«
Arcangela dachte wie rasend nach. Ausgerechnet dieser unheimliche, glatzköpfige Nachtmahr von Anatom! Sie hatte ihn nur einmal gesehen, und das eher durch Zufall, als sie mit Celestina auf dem Markt gewesen war und diese sie auf ihn aufmerksam gemacht hatte. Doch jenes eine Mal reichte völlig, um ihr Albträume zu bescheren. Allein die Vorstellung, dass er mit diesen knöchernen bleichen Fingern ein Messer ergriffen und den armen Filiberto aufgeschlitzt hatte, verursachte ihr Übelkeit. Und dass Celestina sich in seiner Nähe aufhielt, erst recht.
»Dieser Mann ist gefährlich! Wie konntest du meinen armen kleinen Bruder da mit hineinziehen!«
»Nun ja, ich schätze, dein armer kleiner Bruder ist nicht so hilflos, wie du es jetzt darstellst. Vielmehr denke ich, er hat es faustdick hinter den Ohren und viel mehr Mut als wir beide zusammen.«
»Was bringt dich zu dieser Ansicht?«, fragte sie, während sich ein äußerst ungutes Gefühl in ihr ausbreitete.
»In erster Linie der Umstand, dass er sich traut, als Frau in Männerkleidung unter lauter nassforschen Kerlen Medizin zu studieren.«
»Oh«, sagte sie schwach. »Du weißt es …«
»Falls dich das überrascht – dieses Gefühl ist nichts gegen das Erstaunen, das ich selbst empfand, als ich ihn … sie heute im Teatro Anatomico aus der Nähe sah.«
Arcangela schluckte. »Ist es so offensichtlich?«
»Natürlich. Nimmt sie etwa an, es sei anders?« Nachdenklich hielt er inne. »Ja, natürlich tut sie das. Sonst würde sie es nicht wagen.« Kopfschüttelnd fuhr er fort: »Unfassbar, dass sie noch nicht aufgeflogen ist. Es lässt sich nur so erklären, dass die Leute nicht richtig hinsehen. Oder in der Menschenbeobachtung völlig unerfahren sind.«
»Oder sie zuvor noch nie als Frau gesehen haben«, sagte Arcangela düster. »Was bei den allermeisten der Fall sein dürfte, die sie als Marino kennen.«
Sie holte tief Luft, dann drehte sie sich in seinen Armen um und blickte ihn an. »Schwör mir, dass du sie nicht verrätst!«, forderte sie leidenschaftlich.
»Wie kannst du das auch nur einen Moment lang annehmen!« In Vitales Miene offenbarte sich rechtschaffene Entrüstung. »Immerhin ist sie die einzige Schwester meiner künftigen Ehefrau!«
»Also wirst du schweigen wie ein Grab?«
»Wie ein Grab nun nicht gerade, dieser Ausdruck hat mir noch nie gefallen. Und in diesem besonderen Zusammenhang klingt es besonders … nun ja, makaber.«
»Aber schweigen wirst du?«, vergewisserte sie sich argwöhnisch.
»Meine Lippen werden versiegelt sein.« Er lächelte. »Diesen Ausdruck mag ich. Keine Ahnung, warum. Vielleicht deshalb.« Er beugte sie über seinen angewinkelten Arm nach hinten und presste seine Lippen auf ihren Mund.
Am späten Abend desselben Tages
»Deshalb bist du schuld, wenn ich ihn heiraten muss«, sagte Arcangela. Sie saß im Bett – nun in ihrem eigenen – und blickte Celestina grollend an.
»Das würde voraussetzen, dass er mich denunziert, falls du ihn nicht heiratest«, wandte Celestina ein. Der Schreck darüber, dass Vitale sie durchschaut hatte, steckte ihr noch in den Gliedern. »Mit anderen Worten, dass er eine Heirat zur Bedingung für sein Schweigen gemacht hat. Aber so hat er es ganz sicher nicht gemeint.« Zumindest hoffte sie das.
»Keine Ahnung, wie er es gemeint hat. Aber ich fühle mich in die Ecke getrieben. So, als müsste ich ihn heiraten, um dich zu schützen.«
»Kein Mensch verlangt das von
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