Das Mädchen aus Mantua
ausdrücklicher Erlaubnis des Professors taten.
»Du da.« Er zeigte mit dem knochigen Finger auf Celestina. »Marino irgendwas, nicht wahr?«
Sie nickte zögernd. Timoteo, der sich neben William über den blutigen Klumpen beugte, der noch vor zwei Tagen ein schlagendes Herz gewesen war, hob wachsam den Kopf.
»Du hilfst beim Saubermachen der Arena. Jetzt.«
Sie war seinem diesbezüglichen Weisungsrecht unterworfen und konnte daher schlecht widersprechen, also brachte sie die ihr übertragene Aufgabe besser sofort hinter sich – und nutzte sie für ihre Zwecke. Bevor sie nach nebenan ging, tauschten sie und Timoteo einen Blick. Er nickte kurz, zum Zeichen, dass er verstanden hatte: Er würde die Gelegenheit wahrnehmen, sich den Toten anzusehen.
Gemeinsam mit dem Gehilfen und dem Prosektor wischte sie in der Arena Blut und andere Körperflüssigkeiten vom Sektionstisch. Sie merkte, dass Gianbattista sie dabei beobachtete und beim Putzen des Tischs näher an sie heranrückte, als es ihr angenehm war.
»Das macht dir wohl nicht viel aus, was?«, fragte er.
»Was meint Ihr?«
Er hob seinen Lappen. »Diese stinkenden Säfte wegzuwischen.«
»Wenn ich Arzt werden will, darf ich mich an stinkenden Säften nicht stören.«
Die Stirn unter dem knochigen Dach seiner Glatze zog sich in Falten. »Sieh an, ein Philosoph. Und das in so jugendlichem Alter. Wie alt bist du, kleiner Marino?«
Sie bezwang ihr Unbehagen und wischte stoisch weiter den Tisch ab. »Siebzehn.«
»Ah. Ein gutes Alter, um alles über das Leben zu lernen. Du willst doch alles über das Leben lernen, oder?«
»Sicher«, gab sie höflich zurück.
Er stand so dicht neben ihr, dass sein Arm ihre Schulter berührte. Sein Körper und seine Kleidung dünsteten einen so widerlichen Gestank aus, dass es sogar den Geruch der Hinterlassenschaften des toten Wanderarztes überdeckte. Am liebsten hätte sie fluchtartig das Weite gesucht. Doch dann riss sie sich zusammen. Eine Gelegenheit wie diese würde so rasch nicht wiederkommen. Sie hatte eine Aufgabe, die nichts mit Aufwischen zu tun hatte.
»Sagt mir«, hob sie mit falscher Leutseligkeit an. »Macht Euch die Arbeit mit den Leichen nichts aus? Dauert Euch nicht das Schicksal der armen Toten, wenn sie vor den Augen neugieriger Zuschauer zerfleddert werden?«
Er lachte, es klang wie knirschender Kies. »Das kannst du nicht ernsthaft fragen.«
»Warum nicht? Jetzt sind es vielleicht nur noch Körper. Aber es waren einmal Menschen.«
»Deren Seelen in der Hölle schmoren«, gab er gleichmütig zurück. Wieder streifte sein Arm ihre Schulter. Sie zwang sich, es auszuhalten. »Ich gebe zu, ich würde auch gern so pragmatisch darüber denken. Dann ließe sich die Anatomie leichter erlernen.«
»Ich sage ja, du bist noch jung und musst viel lernen.« Seine Stimme bekam einen anzüglichen Unterton.
Sie rückte von ihm ab, beugte sich über den Putzkübel und gab vor, den Lappen auswringen und mit frischem Wasser tränken zu müssen.
»Woher kommen eigentlich die Toten für die Anatomie?«, fragte sie.
»Na, das ist allgemein bekannt. Es sind Hingerichtete und Selbstmörder.«
»Ja, ich weiß. Ich wollte wissen, wer sie herschafft. Macht Ihr das?«
Er hob die Schultern. »Ja, sicher.«
»Ist es nicht schwierig, ihrer jedes Mal rechtzeitig habhaft zu werden?«
»Was meinst du mit rechtzeitig ?«
»Bevor sie anfangen zu verfaulen«, sagte Celestina unumwunden.
Gianbattista lachte sein kratziges Lachen. »Sehr schwierig. Manchmal sogar fast unmöglich.« Stolz fügte er hinzu: »Aber ich habe meine Beziehungen zu den richtigen Stellen.«
»Wirklich?« Sie legte Bewunderung in ihre Stimme. »Aber gerade die Behörden sind doch oft so schwerfällig.«
»Der Antrag auf Aushändigung der Leiche muss sofort nach Auffinden eingereicht werden, das heißt, er sollte am besten schon vorbereitet sein«, erzählte Gianbattista bereitwillig. Es schien ihm zu gefallen, darüber reden zu können. Offenbar wurde seine Leistung zu selten gewürdigt.
»Mit anderen Worten: Ihr erfahrt immer schnell, ob einer sich umgebracht hat?«
»Sehr schnell«, bestätigte er.
»Wie bekommt Ihr das heraus?«
»Du bist sehr neugierig, kleiner Marino.«
Sie riskierte einen Blick in sein hässliches Antlitz, doch sein Ausdruck war nicht misstrauisch, sondern wohlwollend. Er lächelte sie breit an und entblößte dabei sein schadhaftes Gebiss, während er ihr wieder auf den Leib rückte und seine Schulter gegen die ihre
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