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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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Doch Timoteo hatte für die nächsten Stunden eigene Pläne.
    Draußen war es stürmisch, die Gassen waren noch nass vom Schlagregen, der bis vor einer Stunde niedergegangen war und große Pfützen hinterlassen hatte. Es missfiel Timoteo, dass Celestina bei diesem unwirtlichen Wetter, vor allem aber in der Dunkelheit, mutterseelenallein durch die Stadt spazierte. Er hatte sie abholen wollen, doch sie hatte es ihm verboten, mit der Begründung, er solle nicht albern sein und sich den Umweg lieber sparen. Dummerweise hatte er weder Zeit noch Gelegenheit gehabt, über diese Frage mit ihr zu debattieren.
    Zweifelsohne hatte sie ihren eigenen Kopf, was ihnen künftig vermutlich noch einige Schwierigkeiten bescheren dürfte. Doch er war entschlossen, damit zurechtzukommen. Wenn sie erst seine Frau war, würde sie sowieso auf ihn hören müssen. Zumindest sah es das Gesetz so vor, auch wenn ihn bisweilen leise Zweifel überkamen, ob sie es auch einsehen würde. Von seinen Zukunftsplänen hatte er ihr trotz ihres Drängens noch nichts verraten, denn es waren noch einige Voraussetzungen nötig, um sie zu verwirklichen, und bevor er diese nicht geschaffen hatte, war es müßig, darüber zu reden. Doch er war zuversichtlich, alles so hinzukriegen, wie er es sich vorstellte. Er brauchte dafür nur noch ein wenig Zeit.
    Mit raschen Schritten überquerte er die Piazza dei Signori, eilte am Palazzo della Ragione vorbei und erreichte schließlich Il Bo. An der Seitenpforte waren drei dunkle Gestalten auszumachen, die sich um ein Windlicht scharten.
    Galeazzo und William hatten nicht gezögert, ihre Teilnahme an diesem Unterfangen zuzusagen, obwohl es die Gefahr der Entdeckung nicht gerade verringerte, wenn sie zu mehreren auftauchten.
    Celestina hatte diesen Aspekt besonders hervorgehoben und gesagt, sie wolle das lieber allein erledigen, doch Timoteo hatte in diesem Punkt nicht mit sich reden lassen. Falls sie erwischt würden, konnten sich drei Männer besser wehren als eine schwache kleine Frau.
    Sie hatte das Gesicht verzogen bei dieser Begründung, doch in gewissen Angelegenheiten musste ein Mann eisern bleiben.
    Als er näher kam und im Licht der Laterne ihr Gesicht sah, fühlte er eine beinahe alberne Scheu, weil er sie gern zur Begrüßung geküsst hätte, es aber im Beisein der Freunde nicht wagte, obwohl sie genauestens im Bilde waren. Um seine Verlegenheit zu überspielen, meinte er betont gelassen: »Da bin ich. Kann es losgehen?«
    Anstelle einer Antwort förderte Galeazzo einen Schlüssel zutage, der vom Gehilfen des Pedells stammte.
    »Ich hatte noch was gut bei dem Kerl«, sagte Galeazzo grinsend. »Bei all dem Schweinebraten, den er mir zu verdanken hat.«
    Dessen ungeachtet hatte er für diese Leihgabe ein hübsches Sümmchen lockermachen müssen; dafür würden sie alle noch zusammenlegen müssen.
    Galeazzo öffnete die Tür, und Timoteo ging mit der Laterne voran, Celestina dicht hinter sich. William bildete das Schlusslicht. Zu viert schlichen sie zur Treppe und dann nach oben, denselben Weg, den Celestina damals mit Gianbattista genommen hatte, als sie zum ersten Mal hier gewesen war.
    Der Wind pfiff von oben in den offenen Innenhof und unter die überdachte Loggia, er blähte ihre Umhänge und zerrte an ihren Hüten. Heulend strich er um die Säulen und wirbelte ein Blatt Papier hoch, das irgendjemand im Gang verloren hatte. Timoteos Laterne verbreitete einen gespenstischen Lichtschein, der scharfe Schatten hinter ihm aufsteigen ließ, als seien dunkle Geister mit ihnen unterwegs.
    Im Vorbereitungsraum der Anatomie war das Heulen des Windes nicht mehr zu hören, es herrschte Grabesstille. Und ein dazu passender Geruch: Als Timoteo das Tuch von dem reglosen Körper zog, schlug ihnen Verwesungsdunst entgegen.
    »Gott«, sagte Galeazzo angewidert. »Wie kann der Kerl nach nur zwei Tagen so stinken!«
    William trat an den Tisch, auf dem der Leichnam des Wanderarztes aufgebahrt lag. »Warte nur, wenn er erst drei Tage hier liegt. Oder vier.«
    Schaudernd betrachteten die vier Eindringlinge den Leichnam, die im Kerzenlicht rötlichschwarz schimmernde Brusthöhle unter den zersägten und weggespreizten Rippen, die tiefe feuchte Grube des ausgeweideten Leibs, die weißlich hervortretenden Knochen von Hüfte und Oberschenkel und die freipräparierten Muskelstränge am Oberarm.
    Das eingesunkene Gesicht mit der spitzen Nase und den halbgeschlossenen Augen war zur Decke gewandt, in einer fast flehentlichen Haltung, als

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