Das Mädchen aus Mantua
dir.«
»Bist du sicher?« Arcangela schien nicht überzeugt. Davon abgesehen sah sie aus, als sei sie todmüde, was vermutlich zutraf, denn sie gähnte fortwährend und sank mit jedem Atemzug tiefer in die Kissen. Auch Celestina hätte sich lieber schlafen gelegt, denn ihr Tag war ebenfalls recht anstrengend gewesen. Doch die kommende Nacht musste für wichtigere Dinge als zum Schlafen genutzt werden.
»Du solltest das lieber nicht tun«, sagte Arcangela. Sie rollte sich auf die Seite und kuschelte sich unter die Bettdecke. »Es kann nichts Gutes dabei herauskommen. Und Vitale würde dich auch nicht verraten, wenn du seine Bitte ignorierst. Ich habe ihn eigens danach gefragt.«
»Für mich ist es eine große Erleichterung, dass er mein Geheimnis bewahrt. Es ehrt ihn sehr, er ist ein wirklich loyaler Freund.« Celestina legte sich den Umhang um, klemmte sich die Kappe unter den Arm und nahm die Stiefel in die Hand. »Aber ich will ja selbst herausfinden, wer hinter diesen ganzen Todesfällen steckt. Außerdem gehe ich nicht allein hin. Timoteo wird schon auf mich achtgeben.« Mit der freien Hand griff sie nach dem Windlicht. »Schlaf schön.«
»Ich werde kein Auge zukriegen«, murmelte Arcangela, obwohl sie selbige kaum offen halten konnte.
»Das wird schon«, sagte Celestina. »Du musst mir auch nicht aufmachen, wenn ich zurückkomme. Ich habe einen Schlüssel.« Sie hatte am Nachmittag kurzerhand den von Marta requiriert; er hatte in deren Zimmer auf dem Wandbord gelegen, und Celestina hatte ihn sich bis auf Weiteres stillschweigend ausgeborgt. Marta würde ihn nicht vermissen, sie hatte wegen ihrer angegriffenen Gesundheit seit Wochen das Haus nicht verlassen.
Arcangela war eingeschlafen. Leise verließ Celestina das Zimmer. Zu ihrem Schrecken begegnete sie unten in der Halle Onkel Gentile. Ausgehfertig angetan mit Umhang und Barett, stand er bei der Tür und blickte ihr entgegen, während sie wie versteinert am Fuß der Treppe stehen blieb.
»Dachte ich doch, dass ich jemanden runterkommen hörte«, sagte er leutselig. Er musterte die Männerstiefel, die sie in der Hand hielt. »Rustikales Schuhwerk. Aber sicher sehr praktisch bei dem Wetter. Wohin treibt es dich zu dieser nachtschlafenden Zeit?«
»Ich … äh … Spital …«, stammelte sie, zum Himmel flehend, dass er nicht die Hosenbeine bemerkte, die unter ihrem Umhang hervorschauten.
Er nickte. »Das habe ich vermutet. Die Kranken schlafen niemals und bedürfen auch nachts der Pflege, und du scheinst zu der Sorte Frauen zu gehören, die sich gern ausbeuten lassen. Sieh nur zu, dass du es nicht zu weit treibst.« Mit dieser Ermahnung öffnete er die Pforte. »Eine gute Nacht wünsche ich dir, werte Nichte!« Mit leisem Pfeifen trat er hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Entkräftet sank sie auf der untersten Treppenstufe nieder und schnaufte ein paar Mal tief durch, bis sie sich so weit gesammelt hatte, dass sie die Stiefel anziehen und die Kappe über den Kopf stülpen konnte. Vitale hatte recht gehabt mit dem, was er zu Arcangela gesagt hatte. Es war unfassbar, dass sie noch nicht aufgeflogen war. Sie gelangte immer mehr zu der Erkenntnis, dass ihre Scharade nicht mehr lange gut gehen konnte. Das Eis, auf dem sie sich bewegte, wurde von Mal zu Mal dünner.
Doch eine kleine Weile würde es gewiss noch halten.
Sie wartete, bis sie sicher sein konnte, dass Gentile sich weit genug entfernt hatte, dann verließ sie ebenfalls das Haus und machte sich auf ihren Weg in die Nacht.
In derselben Nacht
Timoteo saß derweil noch im Lehnstuhl im Kaminzimmer und beobachtete den Zeiger der Standuhr. Als die Zeit zum Aufbruch gekommen war, erhob er sich geräuschlos. Von nebenan ertönte das von gelegentlichem Stöhnen unterbrochene Schnarchen seines Vaters. Die Tür zu dessen Kammer war nur angelehnt, damit man ihn hören konnte, wenn er Hilfe brauchte. Es gab einen Klingelzug direkt neben dem Bett, doch Alberto brüllte lieber wütend herum, wenn er aufgrund seiner Behinderung nicht allein zurechtkam. Damit scheuchte er die Familie und das Gesinde wesentlich wirksamer auf als mit dem dezenten Gebimmel der Hausglocke.
Auf leisen Sohlen ging Timoteo ins Vestibül, wo er eine Laterne anzündete. Vor einigen Minuten hatte seine Tante das Haus verlassen, vermutlich mit demselben Ziel wie sonst auch. Unter anderen Umständen wäre er Brodata sicher gefolgt, es erboste seinen Vater, dass er immer noch nicht herausgefunden hatte, mit wem Brodata sich traf.
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