Das Mädchen aus Mantua
Licht zeichnete scharf die Umrisse von Timoteos nackter Gestalt nach, füllte die dunklen Flächen mit Gold und tauchte seine Haarspitzen in Bronze. Fasziniert betrachtete sie ihn. Die Narbe an seinem Oberschenkel sah vor dem Feuer aus wie eine Schlange, rötlich, gewunden und gewölbt, als wäre dies nicht ein Teil von ihm, sondern ein fremdes, boshaftes Wesen, immer bereit, die Zähne in sein Fleisch zu schlagen, wenn er sich nicht vorsah.
Er kam zurück ins Bett und kroch neben sie unter die Felldecke. Sein Körper war ausgekühlt, er hatte eine Weile gebraucht, bis er das Feuer in Gang gebracht hatte. Sie drängte sich an ihn und gab ihm von ihrer Wärme ab. Sicher würde es eine Stunde dauern, bis es richtig warm in der Hütte war, dann wären sie längst aufgebrochen. Das Feuer hätten sie sich getrost sparen können, doch er hatte darauf beharrt, als sei es ein wichtiger Bestandteil dieser Zusammenkunft.
Sie hatte versucht, ihm die Geschichte mit seinem Bruder zu erklären, doch er zeigte sich nicht besänftigt. Es empörte ihn, dass sie dabei mitgemacht hatte, statt einfach eine Möglichkeit zu suchen, sich zu drücken; schließlich habe er sie ja vorgewarnt, sie habe sich darauf einrichten können, entsprechend zu reagieren und Hieronimo auszuweichen. Vermutlich hätte es ihn erst recht aufgeregt, wenn er gewusst hätte, dass es seinem Bruder ernst war. Sie hatte ihn in dem Glauben gelassen, dass Hieronimos Leitmotiv die Rache an den Bertoluccis sei. Von dieser Meinung würde er sich ohnehin nur schwer abbringen lassen, und wenn sie es dennoch versuchte, käme sie bloß erneut in Erklärungsnot, denn dann müsste sie sich außerdem noch dafür rechtfertigen, dass sie nicht nur ihn hintergangen hatte, sondern auch seinen Bruder.
Sie konnte nicht umhin einzuräumen, dass er zu Recht wütend über die Situation war. Als er sie aufforderte, ihm zu versprechen, dass es keine Spaziergänge oder andere Unternehmungen mehr mit seinem Bruder geben werde, gab sie ohne zu zögern nach. Wenn dieser nächsten Sonntag käme, beteuerte sie, werde sie krank im Bett liegen.
Damit stimmte sie ihn schließlich milder. Er legte seine große Hand auf ihren Bauch und streichelte sie, mit langsamen Bewegungen, ohne besondere Absicht, von den Rippenbögen bis zum Schambein, während er gedankenverloren zur Decke blickte. Sie schob ihre Stirn in die warme Höhlung seiner Achsel und pustete gegen die Haare auf seiner Brust. Es waren nicht so viele, wie man angesichts seines dunklen Haars und seines starken Bartwuchses erwartet hätte. Sie vermutete, dass sich das im Laufe der Jahre noch ändern würde; in zehn oder fünfzehn Jahren wäre er dort sicher deutlich behaarter.
In zehn oder fünfzehn Jahren … wo würden sie beide dann wohl sein? Sie seufzte tief, weil ihre Gedanken schon wieder in diese unerwünschte Richtung gingen. Sie hatte sich vorgenommen, einfach nur die Stunden mit ihm zu genießen und sich nicht wegen der ungewissen Zukunft den Kopf zu zerbrechen.
»Vermisst du ihn eigentlich noch sehr?«, fragte Timoteo unvermittelt.
»Jacopo?«, fragte sie zurück.
Sie spürte sein Nicken. Zögernd hob sie die Hand und legte sie auf seine Brust, weil sie das Bedürfnis hatte, ihn zu berühren, wenn sie es ihm erklärte.
»Er war mein Mann«, sagte sie einfach. »In guten wie in schlechten Zeiten. Ich war sehr verliebt in ihn, als wir heirateten.«
»Wie habt ihr zueinandergefunden?«
»Damals war mein Stiefvater krank, und Jacopo kam ziemlich oft zu uns. Er hatte vor einigen Jahren seine Frau verloren und verschwendete keinen Gedanken daran, sich neu zu binden. Ich fand, dass ich das ändern müsse. Tatsächlich war es so, dass ich ihm Avancen machte und ihm zu verstehen gab, dass ich ihn wollte. Ich himmelte ihn an und blieb ihm auf den Fersen, wann immer sich eine Gelegenheit ergab, ihn zu sehen.« Sie lächelte unwillkürlich, als sie sich daran erinnerte, wie wenig aufgeschlossen er sich anfangs gegenüber ihren mädchenhaften Annäherungsversuchen gezeigt hatte. Er war ein Musterbeispiel freundlicher Zurückhaltung gewesen. Doch nach dem vierten Besuch hatte er allmählich begonnen, seine Reserviertheit aufzugeben. Sie hatte ihn mit Fragen förmlich gelöchert, hatte alles über seine Arbeit wissen wollen, und schließlich hatte sie ihn damit verblüfft, was sie sich in den kurzen Wochen ihrer Bekanntschaft alles angelesen hatte. In dem Bestreben, ihn zu beeindrucken, hatte sie in einer benachbarten
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