Das Mädchen aus Mantua
reichlich von dem kalten Luftzug ab.
Doch trotz dieser Widrigkeiten war sie sich auch überdeutlich seiner Nähe bewusst. Sie spürte die solide Fläche seiner Brust an ihren Schulterblättern, die zuverlässige Stärke seiner Arme, die von hinten ihren Leib umfingen, sowie die sanfte Wärme seines Atems, der ihre Wange streifte. Ihr Herz schmolz, und sie lehnte sich vorsichtig gegen ihn. Es war ihr egal, dass er böse auf sie war. Seufzend schmiegte sie ihren Kopf unter sein Kinn und umfasste seine Hände, die vor ihr auf dem Sattelknauf lagen und die Zügel hielten.
Sie merkte, dass er sich versteifte, doch nach und nach löste sich seine starre Haltung, und als die Hütte vor ihnen in der herbstlichen Landschaft auftauchte, spürte sie seinen Mund an ihrem Nacken.
»Warum bist du heute nicht zu den Vorlesungen gekommen?«, wagte sie zu fragen.
»Weil ich dich vielleicht sonst geschlagen hätte«, gab er sachlich zurück.
»Und das willst du jetzt nicht mehr?«
»Doch.«
Sie waren angekommen, und er saß geschmeidig ab. Beide Hände um ihre Hüften gelegt, hob er sie aus dem Sattel und pflockte das Pferd unter einer ausladenden Schirmzypresse an, bevor er zu der Hütte weiterging. Sie folgte ihm und musterte aufmerksam sein Gesicht, als er die Tür aufschloss. Immer noch verzog er keine Miene.
Drinnen hatte sich seit dem letzten Mal einiges verändert. Im Kamin lag ein sauber aufgeschichteter Holzstoß, auf einem Schemel stand eine Kerze, und das Bett, auf dem zuvor nur eine nackte Matratze gelegen hatte, war mit Laken bezogen und mit einer Felldecke und mehreren Kissen ausgestattet.
Sie verkniff sich ein Lächeln, als sie sah, dass er sogar einen kleinen Spiegel aufgehängt und einen schmalen Teppich vor das Bett gelegt hatte. Rührung stieg in ihr auf, während sie sich ihm zuwandte. Er hatte die Tür sorgfältig von innen verriegelt und blieb stehen, den Rücken an das Holz gelehnt. Sein Gesicht war immer noch unergründlich, er hatte seine Züge vollständig unter Kontrolle. Sie dagegen konnte nicht an sich halten, sondern eilte auf ihn zu und umarmte ihn. »Wenn du mich schlagen musst, tu es gleich, damit ich es hinter mir habe.«
Seine Arme hingen herab, während sie sich an ihn schmiegte, doch sie spürte, wie seine Hände zuckten. Freilich nicht, weil er sie schlagen wollte, sondern weil ihre Geste ihn entwaffnet hatte und weil er so jung und so herzzerreißend wehrlos in seiner Verliebtheit war, dass er nicht anders konnte, als sie zu umarmen, wenn sie so nah bei ihm stand. Mit einem gequälten Seufzer riss er sie an sich, so fest, dass es sie von den Füßen hob.
Er atmete schwer, als er sie aufs Bett legte. Sie erwartete, dass er ihr die Sachen vom Körper riss, so wie er es sonst immer tat, bevor er über sie herfiel wie jemand, der seit Wochen nichts gegessen hatte und nun die erste Mahlzeit nach langer Fastenzeit vor sich sah. Doch diesmal blieb er stehen und blickte auf sie herab. In seinen Augen war ein Ausdruck, der ihr naheging. Ein solcher Ernst stand in seinem Blick, dass sie beinahe Angst bekam, etwa davor, er könne sagen, es sei vorbei zwischen ihnen beiden, weil sie zugelassen hatte, dass sein Bruder sie spazieren führte. Matt fiel das Licht von draußen durch die Butzenscheiben und umwob seine Gestalt mit grünlichen Schatten.
»Celestina«, sagte er. Nur dieses eine Wort.
Ihr Name klang aus seinem Mund wie eine Liebkosung, und vielleicht war es das auch, doch daneben schwang auch etwas in seiner Stimme mit, das sie nicht benennen konnte. Es war etwas Endgültiges, Abschließendes, als habe er eine Entscheidung getroffen, die niemand mehr umstoßen konnte. Verunsichert sah sie zu ihm hoch. »Timoteo, ich …«
»Schsch.« Er setzte sich zu ihr aufs Bett, und als sie für einen Moment zurückschrak, zog er ihr die Kappe vom Kopf, dann legte er seine Hand an ihre Wange, so sanft und zärtlich, als berühre er eine Blume. »Sagte ich dir nicht schon einmal, dass du niemals Angst vor mir haben musst?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ganz sicher nicht, denn daran könnte ich mich erinnern.«
»Nun, dann sage ich es dir jetzt.« Seine Augen leuchteten in dem grünlichen Dämmerlicht unwirklich hell. »Hab keine Angst vor mir.«
Sie räusperte sich vorsichtig. »Das ist ein Wort.« Nun wagte sie auch wieder zu lächeln. »Ehrlich gesagt freut mich das sehr. Ich weiß einen weit besseren Zeitvertreib als Prügel.« Sie stieß ihm spielerisch die Faust zwischen die Rippen.
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