Das Mädchen aus Mantua
aufgenommen, wenn sie … nun ja, wie du in die Verlegenheit gekommen sind, für eine Weile dem anstrengenden Leben in ihrer gewohnten Umgebung entsagen zu müssen. Die Kammern im Refektorium sind mit allem ausgestattet, was eine Dame gehobenen Standes benötigt. Und es ist dort sehr sauber.« Bei dem Wort sauber warf sie Celestina einen gekränkten Blick zu. Sie kam schlecht darüber hinweg, dass ihre Tochter sich wegen eines Läusebefalls das Haar abgeschnitten hatte (Celestina war keine bessere Ausrede eingefallen).
Chiara wog diese wortreich dargelegten Vorteile gegen ihre Optionen ab, hier in Padua zu bleiben und vor aller Öffentlichkeit der Schande anheimzufallen. Sie wählte das Kloster.
»Du kannst dann mit uns reisen«, beschied Francesca das Mädchen ungewohnt knapp. Celestina zog den Kopf ein, in der bangen Erwartung, ihre Mutter werde bei dieser Gelegenheit auch gleich verfügen, dass sie und Arcangela mit Chiara ins Kloster zu ziehen hätten, doch zu ihrer Erleichterung war das Gespräch damit beendet.
Aus den sechs Tagen, die ihr noch blieben, wurden in Windeseile vier, dann zwei, dann ging es bereits ans Packen. In ihrer Bewegungsfreiheit war sie stark eingeschränkt, denn unter den wachsamen Augen ihrer Mutter konnte sie nicht mehr allein das Haus verlassen. Wo immer sie hinging, Francesca wollte mit, und Celestina kam bald dahinter, dass ihre Mutter Lunte gerochen hatte. Francesca wusste zwar nicht, worum es ging, aber dass es ein gefährliches Geheimnis gab, blieb ihr nicht lange verborgen. Sie ließ Celestina und Arcangela kaum noch aus den Augen.
Sicherheitshalber hatte Celestina alle verräterischen Besitztümer verschwinden lassen, noch während ihre Mutter am Tage ihrer Ankunft schlief. Die Bücher und Notizen waren wieder in der verschlossenen Kiste verstaut, die sie kurzerhand in der Vorratskammer abstellte. Die Männerkleidung hatte sie einfach in Guidos Zimmer in den Schrank gestopft, zu ein paar anderen alten Sachen, die er nicht mitgenommen hatte.
Es gelang ihr jedoch, über Morosina eine Botschaft an Timoteo hinauszuschmuggeln. Mutter ist da , schrieb sie. Antworte nicht, sie überwacht mich. Wir reisen übermorgen bei Tagesanbruch .
Am nächsten Morgen
Am Tag seiner Prüfung stand Timoteo früh auf, wusch sich sorgfältig, rasierte sich mit äußerster Gründlichkeit und zog seine besten Sachen an. Ihm war übel, an ein Frühstück war nicht zu denken. Immer wieder ging er im Geiste sein Traktat durch, sagte sich seine Thesen vor, deklamierte stumm alle Argumente, die er vorsorglich samt und sonders auswendig gelernt hatte, alles in ordentlichem, klassischem Latein. Als es so weit war, verließ er das Haus. Sein Bruder war schon beim ersten Hahnenschrei hinausgeritten, vorgeblich, um einem der Pächter beim Beschlagen eines Pferdes zu helfen, doch Timoteo wusste, dass Hieronimo einfach nur versuchte, dem Vater aus dem Weg zu gehen, bis dieser sich mit dem vermeintlichen Verrat Brodatas abgefunden hatte. Besonders hart hatte es seinen Vater getroffen, dass alle Männer der Familie Bertolucci die Stadt verlassen hatten, es war beinahe, als hätte man Alberto eines wichtigen Lebensinhalts beraubt. Statt sich zu freuen, die Feinde los zu sein, steigerte er sich erst recht in seinen Hass hinein. Die meiste Zeit des Tages saß er stumm und reglos vor dem Kamin, den Brief von Brodata, den er in einer ersten Aufwallung von Zorn zerknüllt, später aber wieder glatt gestrichen hatte, auf seinen Knien. Alberto las ihn immer wieder, als müsse er sich vergewissern, was darin stand. Manchmal fluchte und brüllte er vor Zorn, manchmal kamen ihm die Tränen, dann schluchzte er haltlos vor Selbstmitleid. Die Hausmagd und die Köchin bewegten sich nur auf Zehenspitzen durchs Haus, voller Angst, der nächste Wutanfall könne sich gegen sie richten.
Vaters Hoffnung ruhte nun darauf, dass Hieronimo bald die Witwe aus Mantua umgarnte, damit ihm wenigstens diese Rache vergönnt sei. Da jedoch Hieronimo keine Anstalten machte, dem nachzukommen, erkannte Timoteo sehr bald, dass sein Bruder diesen Plan in Wirklichkeit niemals verfolgt hatte, sondern sich tatsächlich in Celestina verliebt hatte und nun nur darauf wartete, dass sein Vater sich abregte, um ihm dann irgendwann reinen Wein einzuschenken. Diese Erkenntnis trug nicht dazu bei, Timoteos Zuversicht zu stärken, wohl aber seine Entschlusskraft, mit kühlem Blick seine eigenen Pläne zu verwirklichen.
Vor dem Bischofspalast warteten die
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