Das Mädchen aus Mantua
aufstand und einen Dolch gegen sie zückte. Sie hatte die Waffe noch nie gesehen, wusste aber instinktiv, dass Marta damit seine Frau erstochen hatte. Er rannte hinter ihr her, hatte sie schon fast erreicht, gleich würde er sie umbringen. Es erschollen bereits die Totenglocken. Mit einem Aufschrei fuhr sie hoch und vernahm entsetzt das Gebimmel, doch dann erwachte sie vollends und erkannte, dass jemand unten an der Haustür Sturm läutete. Da nun keine Männer mehr im Haus waren, stand sie auf, ergriff das Nachtlicht und eilte nach unten, um den Mägden beizustehen, wer immer der nächtliche Besucher auch war. Arcangela folgte ihr mit zwei Schritten Abstand.
Celestina öffnete selbst die Tür und lugte vorsichtig hinaus. »Mutter«, sagte sie. »Da bist du ja.«
In der darauffolgenden Woche, Mitte November
Francesca Morgagni war zweiundvierzig Jahre alt, kaum fünf Fuß groß und noch zierlicher als ihre Tochter. Mit ihrer Stimme schrie sie mühelos jeden Bierkutscher nieder, und wenn sie erst angefangen hatte zu reden, waren auch mächtige Beamte gegen die Flut ihrer Worte machtlos.
Wie Celestina es befürchtet hatte, wurde alles anders, als ihre Mutter die Bühne betrat. Ohne großes Federlesens machte sie sich das Gesinde untertan, befehligte ihre Töchter zu festen Zeiten zum Rapport, bestimmte den Tagesablauf aller Hausbewohner und den Speiseplan. Die alte Immaculata versuchte zu Anfang, gegen die neue Autorität aufzubegehren, doch vergeblich. Francesca kehrte ihre Vormachtstellung als engere Verwandte heraus und erklärte Immaculata, sie solle sich lieber ausruhen, das entspreche ihrem Alter. Ihr Ton duldete keinen Widerspruch.
Auch der Zeitpunkt der Abreise wurde schon am Tage ihrer Ankunft bestimmt, es war alles genau festgelegt. Zwei Tage wollte sie sich von der Reise erholen, die unter einem schlechten Stern gestanden hatte. An der Kutsche war ein Rad gebrochen, ein Wegelagerer hatte versucht, sie auszurauben, woran der tapfere Kutscher den Kerl mit einer Muskete gehindert hatte, ein Platzregen hatte sie gezwungen, für Stunden in einer schmierigen Herberge auszuharren, und zu guter Letzt waren sie noch bei Dunkelheit vom Wege abgekommen, sodass sie erst mitten in der Nacht ihr Ziel erreicht hatte.
Nach diesen zwei Erholungstagen wollte sie im Verlauf von vier weiteren Tagen bestimmte Dinge erledigen, da sie nun schon einmal hier in Padua war, nämlich am Grab des heiligen Antonius beten, die Fresken in der Capella di Scrovegni besichtigen, bei einem weithin berühmten Handschuhnäher ein paar safrangelbe butterweiche Handschuhe fertigen lassen, eine alte Freundin aus Kindertagen besuchen – wenngleich sie derzeit noch nicht wusste, ob diese überhaupt noch lebte – und schließlich ihrer armen, verlassenen Schwägerin die Hand zum Trost reichen, obschon bereits abzusehen sei, dass diese das mitnichten benötige, da sie offensichtlich ja schon wieder fresse wie ein Schwein, das seit Wochen nicht zum Trog gedurft hatte. Dass Marta sich, kaum dass Lodovico das Haus verlassen hatte, in Windeseile zu erholen begann, war ein Kapitel für sich, das alle – nicht zuletzt wohl Marta – sehr überraschte. Es fing damit an, dass sie sich schon zum Frühstück von Immaculata einen Riesenberg Rühreier mit Schinken bringen ließ. Zum Mittagessen verlangte sie Braten, abends geräucherten Fisch. Und sie behielt alles bei sich.
»Du wirst sehen, bald gehen sogar ihre Warzen und Hämorrhoiden weg«, prophezeite Arcangela ihrer Stiefschwester. »Man könnte fast denken, ihre Ehe hat sie krank gemacht.« Diese Einsicht schien ihren Entschluss, Padua zu verlassen, noch zu stärken.
Unterdessen erfüllte Celestina ihr Versprechen, mit Chiara über einen Eintritt ins Kloster zu sprechen. Unterstützung erhielt sie zu ihrer Überraschung von ihrer Mutter, die mit allen Argumenten zu diesem Thema bereits bestens vertraut war. Und Francesca gelang, was Celestina sich nicht zugetraut hatte.
»Du meinst, die Nonnen von San Zaccaria dürfen wirklich Seidenkleider tragen?«, fragte Chiara zaghaft.
Francesca nickte entschieden. »Und es gibt jeden Tag Wein, wobei anzumerken ist, dass es sich nicht um irgendwelchen Verschnitt handelt, sondern um den allerbesten von Kreta. Und nicht nur das: Die Klosterküche ist weithin berühmt, so sehr, dass sogar der Patriarch sich gern zum Essen dorthin einladen lässt. Im Übrigen musst du nicht sofort den Schleier nehmen, denn es werden manchmal auch weltliche Damen
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