Das Mädchen aus Mantua
Celestina ihm mit. Sie drehte sich auf dem Absatz ihres Stiefels um und marschierte los.
»Nun warte doch!« Timoteo folgte ihr, und zögernd ging sie langsamer, denn sie wollte nicht, dass er sein Bein über Gebühr belastete.
Am Ende der Gasse blieb sie schließlich stehen und wartete, bis er sie eingeholt hatte.
»Warum benutzt du keinen Stock?«, fragte sie unverblümt. Sie nahm sich die vertrauliche Anrede heraus, denn er tat es auch. Es war nicht einzusehen, ihn wie einen Herrn zu behandeln, während er mit ihr sprach wie mit einem unmündigen Jungen.
Irritiert musterte er sie einen Augenblick. »Verdammt, du bist ihr wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten! Nicht zu fassen!«
»So ist es oft bei Geschwistern«, sagte sie mit mehr Gelassenheit, als sie spürte. Vorsorglich hielt sie beim Weitergehen die Laterne ein wenig seitlich von sich weg.
»Mit einem Stock ließe es sich leichter gehen«, fuhr sie fort.
»Stöcke und Krücken sind was für Krüppel«, erklärte er kurz angebunden.
»Du sagst das so, als seien Krüppel minderwertige Menschen.«
»Sind sie das etwa nicht?«
»Ich kann nicht glauben, dass du das ernst meinst. Schon gar nicht als angehender Arzt.«
»Was weiß so ein Kerlchen wie du schon über Ärzte und Krüppel.« Es klang spöttisch, mit einem Unterton von Groll.
Celestina reagierte gereizt. »Mein Schwager war Arzt. Ich habe viel von ihm gelernt. Unter anderem, dass es nur eine einzige richtige Methode gibt, wie Menschen mit verletzten Gliedmaßen zu behandeln sind.«
»Ach ja. Indem man ihnen einen Stock reicht?«
»Nein. Indem man ihnen Respekt zollt.« Erklärend fuhr sie fort: »Nicht Krücke oder Stock nehmen einem Menschen die Würde. Sondern die Schmerzen tun das. Und gegen die hilft wiederum eine Stütze beim Gehen. Das konnte ich bereits vielfach beobachten.«
»So, konntest du das. Was sagtest du, wie alt du bist?«
»Siebzehn«, sagte sie widerstrebend. Älter konnte sie sich nicht machen, nicht bei ihrer Körpergröße, der glatten Haut und der hellen Stimme. Doch als sie seinen gönnerhaften Gesichtsausdruck sah, konnte sie ihren Ärger über dieses Dilemma kaum zügeln. Patzig erklärte sie: »Ich spreche Latein und Griechisch und habe alle Lehrbücher meines Schwagers gelesen. Frag mich was Medizinisches, egal was, ich wette, ich weiß es! Ich habe Galenus studiert und Vesalius. Avicenna, Celsus und Hippokrates. Und viele, viele andere Schriften, ich könnte sie dir alle aufzählen, aber es würde dich vermutlich langweilen.«
»Vermutlich«, kam es trocken zurück.
Sein Ton brachte sie erst recht auf. Celestina zog ihren Trumpf. »Aber das ist nicht alles! Ich habe Jacopo bei vielen seiner Operationen assistiert! Bei manchen sogar eigenhändig das Messer geführt! Also solltest du vielleicht aufhören, mich wie ein Kind zu behandeln. Breite Schultern und ein scharfes Schwert sind nicht alles. Es zählt auch, was man im Kopf hat.«
Sie hatte den Eindruck, dass er sich angriffslustig anspannte. Sofort verrauchte ihr Ärger. Rasch fuhr sie fort: »Nicht, dass ich damit zum Ausdruck bringen wollte, du hättest nichts im Kopf. Die Wahrheit ist, dass ich dich schrecklich beneide.«
Sein Gesicht nahm einen verdutzten Ausdruck an. »Was? Weshalb denn?«
»Weil du Medizin studierst«, sagte sie wahrheitsgemäß. »Nur zu gern täte ich dasselbe!«
»Warum machst du es dann nicht?«
»Das will ich und das werde ich«, sagte sie kühn. »Es ist mein größter Wunsch, zu promovieren und Arzt zu werden!« Sie holte Luft, dann schob sie ihre Kappe ein wenig zurück und gab damit ihr Gesicht seinen Blicken preis. Besser, sie brachte es sofort hinter sich. Wenn er ihre Maskerade jetzt nicht durchschaute, täte er es auch später nicht. Darauf musste sie einfach vertrauen. Ganz würde sich das Risiko nicht ausräumen lassen, aber sie war bereit, es zu tragen. Letztlich war es ohnehin nur eines von vielen.
Sie beobachtete ihn scharf, während sie gemeinsam weitergingen, doch in seiner Miene deutete nichts darauf hin, dass er Verdacht geschöpft hatte.
»Bist du darum nach Padua gekommen?«, wollte er wissen. »Um hier an der Universität zu studieren?«
»Ganz recht.«
»Und deine Schwestern hast du gleich mitgebracht?«
»Es ergab sich so. Nach dem Tode meines Schwagers Jacopo lebten wir eine Weile allein in Mantua. Ohne Jacopos Einkommen als Arzt war es nicht immer leicht, über die Runden zu kommen, aber wir kriegten es hin.« Hier blieb Celestina bei der
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