Das Mädchen aus Mantua
seiner Hast stürzte er die Treppe hinunter. Seither ist er gelähmt.«
»Wann war das?«
»Vor siebzehn Jahren.«
»Warst du dabei?«
»Natürlich nicht. Ich war erst drei.« Düster schloss er: »Ich kann mich ja nicht einmal an meine Mutter erinnern.«
»Woher willst du dann wissen, wie es sich abgespielt hat? Hat jemand gesehen, wie mein Onkel deine Mutter erstach?«
»Es war während einer Feier. Viele, die dort waren, haben mitbekommen, wie er um sie herumscharwenzelte. Und auch, wie er ihr ins Haus folgte. Ganz abgesehen davon, dass er anschließend wie vom Erdboden verschwunden war. Doch sein Dolch mit dem wappenverzierten Griff verriet ihn als Täter.«
»Warum wurde er nicht verhaftet?«
»Oh, das wurde er.« Timoteo lachte hart. »Aber er kam bald wieder frei, denn er schwor, dass sein Dolch ihm schon vor dem Fest gestohlen worden sei. Sein Bruder Gentile und seine Frau Marta bezeugten es, außerdem diese alte Tante von ihm, sowie schließlich auch noch zwei Nachbarn, denen er angeblich vorher schon von dem Verlust des Dolches erzählt hatte.«
»Das ist ja … schrecklich«, sagte Celestina. Sie hatte vermutet, dass es schlimme Gründe für diese Fehde geben musste, aber dass es sich um eine so furchtbare Tragödie handelte, hätte sie nicht geglaubt.
Das Haus der Bertolucci war nur noch zwei Quergassen entfernt. »Wir sind gleich da«, sagte Timoteo. »Oder besser: Du bist gleich da. Ich muss weiter. Gute Nacht, kleiner Marino.« Er nickte ihr knapp zu und ging mit energischen Schritten davon. Das Bein zog er dabei kaum nach.
Im Morgengrauen des folgenden Tages tauchte ein verstörter Knecht bei den Caliari auf. Er brachte schlechte Nachrichten. Die Spinnerei, die zu den Gütern der Familie gehörte, war durch einen Brandanschlag zerstört worden. Jemand, so der Knecht, müsse das Feuer absichtlich gelegt haben, es sei an mehreren Stellen zugleich ausgebrochen. Auch bei einem der Pächter habe es in der Nacht gebrannt, von dort wisse man jedoch noch nichts Genaueres über das Ausmaß des Schadens.
Hieronimo und Timoteo hievten eilends ihren vor Zorn brüllenden Vater auf den Kutschbock des Wagens.
»Ich wusste, dass sie einen Weg finden, uns ungestraft Schaden zuzufügen«, schrie Alberto. Sein Gesicht hatte eine gefährlich rote Färbung angenommen. Timoteo hätte ihm gern geraten, sich nicht so aufzuregen, doch er ahnte, dass er damit seinen Vater erst recht erzürnt hätte, deshalb hielt er lieber den Mund.
Nicht so sein Bruder. »Wir werden eine Möglichkeit finden, es ihnen heimzuzahlen, Vater!«, sagte Hieronimo. Zwischen seinen Brauen stand eine scharfe Falte. »Ich schwöre es dir, bei allem, was mir heilig ist!« Er wandte sich zu Timoteo um, der auf der Ladefläche des Gespanns hockte. »Warum bist du so still? Hast du nichts dazu zu sagen?«
»Wir waren nicht dabei«, meinte Timoteo vorsichtig. »Es ist nicht sicher, wer für den Brand verantwortlich ist.«
Das Wutgebrüll seines Vaters war sicher bis ins nächste Dorf zu hören. Timoteo war froh, dass er weiter als eine Armlänge vom Kutschbock entfernt saß und nicht sein Vater, sondern Hieronimo die Zügel führte, sonst hätte es möglicherweise Peitschenhiebe gesetzt. Für den Rest der Fahrt hüllte er sich in bockiges Schweigen.
Das Land der Caliari lag ein wenig außerhalb von Padua, ein halbes Dutzend Pachthöfe, alle nah beieinander und von der Stadt aus rasch zu erreichen. Zu den Gütern gehörten auch drei Handwerksbetriebe, eine Gerberwerkstatt, eine kleine Bootswerft und besagte Spinnerei, alle am Ufer der Brenta gelegen.
Schon von ferne war zu sehen, dass von der Spinnerei nicht mehr viel übrig war. Geborstene Mauern hoben sich schwarz gegen den blauen Junihimmel ab, das Dach war vollständig eingestürzt. Ein scharfer Gestank nach Qualm und Ruß erfüllte die Luft, und hier und da stieg noch Rauch aus umherliegenden Trümmerteilen.
Der Pächter eilte ihnen entgegen, das rußige Gesicht streifig von Schweiß und Tränen.
»Domine«, stammelte er. »Wir haben getan, was wir konnten, doch alle Mühe war vergebens!«
Timoteo bewunderte seinen Bruder für die Ruhe, mit der dieser den Pächter befragte, doch verwertbare Erkenntnisse kamen dabei nicht heraus. Es half auch nichts, dass Alberto Caliari immer wieder wütend mit eigenen Fragen dazwischenfuhr. Niemand hatte etwas Auffälliges bemerkt, bevor der Brand ausgebrochen war. Als der Rauchgeruch zu der Kate gedrungen war, die der Pächter mit seiner Familie
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