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Das Mädchen aus Mantua

Das Mädchen aus Mantua

Titel: Das Mädchen aus Mantua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Thomas
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wonach sie sich sehnte – ihm und allem, wofür er gestanden hatte, wieder nahe zu sein. Ein Stück von dem Glück wiederzufinden, das sie beide verbunden hatte. Dieses Glück hatte in hohem Maße, wenn nicht gar entscheidend, auf ihrer gemeinsamen Arbeit beruht. Das wollte sie wiederhaben.
    So einfach war das. Und so schwer.
    Außerdem wollte sie begreifen, was ihr in ihrer schwersten Stunde widerfahren war. Ob sie Fehler begangen hatte, die sich hätten vermeiden lassen. Nur wer die Geheimnisse der Medizin ergründete, konnte heilen, ob andere oder sich selbst.
    Gianbattista riss sie aus ihren Gedanken. »Hier drin habt Ihr alles gesehen.« Er breitete das Tuch wieder über die Leiche des Mannes und deutete auf eine Tür. »Da drin wäre das Teatro Anatomico. Wollt Ihr hinein?«
    »O ja, bitte.« Celestina war erleichtert, der schauerlichen Umgebung zu entkommen.
    Gianbattista öffnete die Tür zum Anatomietheater, hielt dann jedoch unvermittelt inne und horchte. »War da was?« Celestina hatte es auch gehört. Es klang, als käme jemand die Treppe hoch.
    Gianbattista huschte zu der gegenüberliegenden Tür, durch die sie den Vorbereitungsraum betreten hatten. Angestrengt lauschte er nach draußen.
    »Rasch, das Licht aus, und versteckt Euch«, zischte Gianbattista. Lautlos schob er sich durch die Tür auf den Gang hinaus und war im nächsten Augenblick verschwunden.
    Sein Windlicht hatte er einfach auf dem Fußboden abgestellt, es flackerte kurz im Luftzug, brannte aber weiter.
    Celestina hatte ihre eigene Kerze bereits ausgepustet, doch Gianbattistas Windlicht konnte sie nicht mehr löschen. Es war zu weit weg, sie hätte zuerst den ganzen Raum durchqueren müssen, und der war nicht gerade klein. Arcangela hatte recht. Dieser Adlatus war ein Mistkerl.
    Wie festgewachsen stand sie in der offenen Tür zum Anatomietheater und hörte, wie sich jemand näherte. Ohne zu zögern trat sie die Flucht an. Da ihr nicht viele Möglichkeiten blieben – genau genommen gab es nur eine einzige –, rannte sie in den Raum, der das Teatro Anatomico beherbergte. Drinnen herrschte pechschwarze Finsternis. Sie stolperte gegen eine hölzerne Wand und dann gegen eine Verstrebung, wo sie sich den Kopf stieß. Nur mit Mühe unterdrückte sie einen Schmerzenslaut. Weitertaumelnd tastete sie sich in die Dunkelheit, bis ihre Fingerspitzen eine Öffnung in der Wand fanden. Dort gab es eine Treppe. Ohne nachzudenken erklomm sie die Stufen. Auf diesem Wege musste es hinauf zu den Zuschauerrängen gehen. Gianbattista hatte ihr in der Schenke beschrieben, wie das Anatomietheater aufgebaut war. Zwei Treppen, und rund um die Arena sechs steil übereinander angeordnete Ränge.
    Nachdem sie hastig eine Reihe von Stufen hinter sich gebracht hatte, erreichte sie einen Absatz, von dem zu beiden Seiten der erste Rang abzweigte. Von ihrem eigenen Schwung vorwärts getragen, wäre Celestina fast über die Brüstung gefallen. Die umlaufende Plattform war unerwartet schmal, kaum zwei Ellen breit. Hastig wich sie zurück und drückte sich an die Wand. Eng zusammengekauert hockte sie sich hin, in der Hoffnung, dass derjenige, vor dem Gianbattista davongelaufen war, sie nicht fand.
    »Ist da jemand?«, hörte sie eine Männerstimme aus dem Vorbereitungsraum.
    Die Tür zum Anatomietheater öffnete sich knarrend, matter Kerzenschein drang durch die Ritzen der Holzkonstruktion. »Wer immer sich dort versteckt – ich weiß, dass du da bist. Also komm raus, bevor ich dich schnappe und dich zu Nachschub für die Anatomen verarbeite!«
    Celestina meinte, die Stimme schon gehört zu haben, doch sie war zu verstört, um sie zuordnen zu können. Stattdessen ging ihre Phantasie mit ihr durch. Sie sah sich entseelt auf einem der Tische liegen, während Gianbattista seines Amtes als Assistent waltete und mit einem Zeigestock auf die einzelnen Organe in ihrem Leib deutete. Selbstverständlich erst, nachdem man sie von oben bis unten aufgeschnitten hatte. Dutzende von Studenten standen oben auf den Rängen und sahen zu. Celestinas Vorstellungskraft gaukelte ihr sogar vor, dass sich Timoteo Caliari unter ihnen befand. Sein herablassendes Lächeln erzürnte sie so sehr, dass sich das Phantombild von ihr selbst auf dem Anatomietisch verflüchtigte. Sie richtete sich auf und trat an die Brüstung. Weglaufen konnte sie ohnehin nicht. Und soeben war ihr wieder eingefallen, woher sie die Stimme kannte.
    »Hier oben bin ich!«, rief sie mit gedämpfter Stimme. »Ich führe

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