Das Mädchen aus Mantua
und dem Gesinde bewohnte, waren alle sofort losgelaufen, um nachzusehen, doch da hatte die Werkstatt schon lichterloh gebrannt.
Hieronimo war bereits von der Kutsche gesprungen und inspizierte die verkohlten Überreste. Alberto blieb notgedrungen auf dem Kutschbock sitzen. Seine Lippen bewegten sich stumm, als würde er beten, doch Timoteo wusste, dass es schreckliche, gotteslästerliche Flüche waren, die vor den Ohren Dritter niemals laut ausgesprochen werden durften, weil dafür schlimme Strafe drohte.
Er spürte die Qualen seines Vaters beinahe körperlich.
Das Gesicht seines Bruders war fast so weiß wie sein Hemdkragen. In seinen Augen glühte der Hass. Wäre in diesem Moment einer der Bertolucci zugegen gewesen, hätte er diesen Morgen nicht überlebt.
»Ist jemand verletzt worden?«, wollte Timoteo von dem Pächter wissen.
»Mein Sohn. Er hat versucht, Werkzeuge in Sicherheit zu bringen, dabei fiel ein Balken auf ihn. Bestimmt ist sein Arm gebrochen, er schreit, wenn man ihn dort anfasst. Ich habe einen der anderen Jungen ins Nachbardorf geschickt, da gibt es einen Bader. Aber der braucht oft Stunden, bis er sich hierher bequemt.«
»Wo ist dein Sohn?«
»Im Haus.«
Frau und Kinder des Pächters hatten sich in der Stube zusammengeschart. Eines von den Kindern weinte laut, mehrere andere verfolgten eingeschüchtert, wie Timoteo den Pächter zu dem verletzten Jungen begleitete.
Dieser lag auf einem Strohsack an der Wand. Timoteo hockte sich neben ihn. »Wie heißt du, mein Junge?«
»Giulio«, sagte der Junge gepresst. Er war sehr blass und hielt den linken Arm vom Körper abgespreizt.
»Wie alt bist du?«
»Zwölf.«
»Dein Vater hat mir erzählt, wie mutig du warst. Du bist ins Feuer gelaufen, um Werkzeug herauszuholen?«
Giulio nickte.
»Und dabei hast du dir den Arm verletzt? Kann ich mir das ansehen?«
Giulio stöhnte, als Timoteo ihn vorsichtig aufrichtete. Sanft tastete Timoteo den Arm ab. Als er die Schulter erreichte und dort die herausstehende Wölbung des Oberarmknochens ertastete, schrie der Junge vor Schmerzen laut auf.
»Ist der Arm gebrochen?«, wollte der Pächter wissen.
»Ausgerenkt«, erklärte Timoteo.
»Könnt Ihr ihm helfen?« Der Pächter räusperte sich. »Ich weiß, dass Ihr schon fast ein Doktor der Medizin seid.«
Timoteo schluckte, seine bisher erworbenen Fähigkeiten erschienen ihm mit einem Mal lächerlich unzureichend. »Mir fehlt noch ein halbes Jahr bis zum Examen«, sagte er.
»Aber Ihr könnt versuchen, den Arm zu richten.« Erklärend fügte der Pächter hinzu: »Der Bader ist ein Stümper, er macht meist alles nur schlimmer.«
»Wenn das so ist, kann ich gewiss mithalten.« Timoteo bemerkte das entsetzte Gesicht des Jungen. »Das war ein Scherz, Giulio.«
Jedenfalls hoffte er das. Bislang hatte er erst zwei Mal eine ausgekugelte Schulter eingerenkt. Streng genommen hatte er es nicht einmal selbst getan, sondern nur dabei geholfen, indem er den Verletzten festhielt und genau zusah, wie ein anderer nach der Methode des Hippokrates das Gelenk einrichtete.
»Das wird jetzt ziemlich wehtun«, sagte Timoteo mitfühlend. »Glaubst du, dass du es aushalten kannst?«
»Mein Sohn ist tapfer. Er wird es aushalten. Stimmt es nicht, Giulio?«
Giulio nickte mit zitternder Unterlippe.
»Ich stemme jetzt meine Ferse gegen deine Achsel«, erklärte Timoteo, während er sich auf den Bretterboden setzte und die Beine ausstreckte. Den Schmerz in seinem Oberschenkel ignorierte er, denn das war nichts im Vergleich zu dem, was gleich der Junge durchmachen würde. Er griff nach dem Handgelenk des Jungen und wies den Vater an, den Jungen um den Leib zu fassen und ihn festzuhalten.
Giulio schrie wie am Spieß, als Timoteo den Arm packte und langzog. Eine vorsichtige Drehung, bis das Gelenk im richtigen Winkel zur Schulter saß und mit laut hörbarem Knacken einschnappte, dann war es getan.
Giulio hörte abrupt auf zu schreien, was zunächst nicht auffiel, weil sich unter seinen jüngeren Geschwistern ein klagendes Heulen erhoben hatte. Auch die Mutter war in entsetztes Schluchzen ausgebrochen.
»Es hat aufgehört«, sagte Giulio ungläubig. »Es tut nicht mehr weh!«
»Nun, du wirst es schon noch spüren.« Timoteo wandte sich an den Pächter. »Er darf ein paar Wochen nicht arbeiten.«
»Ich sagte doch, Ihr könnt es besser als der Bader«, meinte der Pächter zufrieden. Er nickte, als hätte er es schon immer vermutet. »Manche Dinge lernt man an der Universität
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